Bremen. (wfb) Der rollende Kollege ist zwei Meter groß, schmal und wiegt nur gut 60 Kilo. Wenn nach Feierabend die letzten Angestellten den Laden verlassen haben, fängt sein Job erst an: Sobald die Eingangstür verschlossen ist, verlässt der Roboter-Kollege automatisch seine Ladestation, schaltet seine Beleuchtung und seine Kameras an und fährt zielstrebig durch die Reihen. Gang für Gang scannt er die Verkaufsregale und speichert ab, welche Produkte in welcher Menge wo stehen. Am Ende seines Einsatzes hat der Roboter mithilfe seiner Kamerasysteme und von künstlicher Intelligenz ein digitales Abbild des Warenbestands der gesamten Einzelhandelsfiliale erstellt – und das jede Nacht aufs Neue.
«Der tagesaktuelle digitale Zwilling bildet die Filiale in einem Detailgrad ab, den es heute nirgends gibt», erläutert Jonas Reiling (33), einer der beiden Geschäftsführer des Bremer Start-ups Ubica Robotics GmbH das Besondere am Roboter. «Weil diese Daten bisher fehlen, kann der stationäre Einzelhandel viele seiner Potenziale nicht ausschöpfen. Unser Roboter wird helfen, das zu ändern und die Konkurrenzfähigkeit der Filialen gegenüber dem Online-Handel zu stärken.» Das Interesse des stationären Handels ist groß.
Roboter verschafft Mitarbeitenden mehr Zeit
An dem Tag, an dem eine Filiale eines Supermarkts oder einer Drogerie eröffnet wird, weiß der Händler oder die Händlerin noch genau, welches Produkt wo und in welcher Anzahl im Regal steht. Doch mit der Zeit, das lehrt jedenfalls die Erfahrung, weicht die Realität immer weiter vom Plan ab. «Dinge werden an der Kasse nicht korrekt abgebucht, Waren gehen kaputt, es gibt Diebstähle, Fehler bei der Lieferung oder falsch ins Regal einsortierte Artikel», erläutert der 35-jährige Co-Geschäftsführer Georg Bartels. «Das führt dazu, dass im Schnitt 60 Prozent der Warenbestände in den Filialen nicht korrekt erfasst sind.» Genau das soll die neue Technologie ändern – und damit zu einer Steigerung der Effizienz im Einzelhandel beitragen.
(Text und Bild: WFB Wirtschaftsförderung Bremen – Jörg Sarbach)
Also Lieferketten und interne Prozesse optimieren dank Robotik. «Kein Mensch kann jeden Tag Tausende Artikel zählen und ihren genauen Standort festhalten», sagt Bartels. «Das funktioniert noch nicht einmal bei der jährlichen Inventur fehlerlos.» Der Roboter sei aber nicht als Konkurrenz zu den Angestellten zu verstehen, sondern biete im Gegenteil eine Unterstützung: «Unsere Vision ist es, dass der stationäre Einzelhandel attraktiver wird, weil sich die Beschäftigten intensiver der Beratung ihrer Kundschaft widmen können. Und das geht nur, wenn aufwändige Zähl-Arbeiten von der Technik erledigt werden.»
Roboter bietet vielfältige Nutzungsszenarien
Die Möglichkeiten seien vielfältig, die vom Roboter gesammelten Daten zu nutzen. Ein aktuelles Beispiel dafür sei der während der Pandemie populär gewordene «Click + Collect»-Einkauf: Wenn die Angestellten durch den Laden laufen, um die zuvor von Kunden online bestellten Artikel zusammenzusuchen, lasse sich mithilfe des digitalen Filialzwillings viel Zeit sparen. «Das könnte dann so aussehen, dass der Mitarbeiter auf seinem Smartphone die Bestellliste angezeigt bekommt. Und zwar direkt in der richtigen Reihenfolge der Artikel, sodass ihm die kürzeste Route vorgeschlagen wird», erklärt Jonas Reiling.
Auch fehlende Ware, die der Roboter bei seinen nächtlichen Messungen anhand leerer Regalflächen identifiziert, könnte das System künftig automatisch nachbestellen. Und während momentan noch wöchentlich Angestellte damit beschäftigt seien, Etiketten von abgelaufenen Sonderangeboten zu finden und zu entfernen, könne auch hier die neue Technologie für genaue Informationen und optimierte Laufwege sorgen. «Es gibt da wirklich viele unterschiedliche Nutzungsszenarien, die die Prozesse in den Filialen vereinfachen können», betont Reiling. Keine schlechte Option in Zeiten fehlender Arbeitskräfte.
Team von Ubica Robotics wächst dynamisch
Die Idee für die Technologie des autonomen Scanroboters basiert auf den Ergebnissen eines europäischen Forschungsprojekts. Dieses hatte zum Ziel, logistische Prozesse in Supermärkten zu verbessern. An ihm war auch das Institut für Künstliche Intelligenz der Universität Bremen (IAI) beteiligt, an dem Reiling und Bartels als wissenschaftliche Mitarbeiter beschäftigt waren. Zusammen mit ihren Uni-Kollegen Ferenc Bálint-Benczédi und Alexis Maldonado gründeten sie im Mai 2020 das Unternehmen Ubica Robotics als Technologie-Ausgründung der Universität. Mithilfe finanzieller Unterstützung durch das Förderprogramm EXIST des Bundeswirtschaftsministeriums erweiterten die Gründer ihr Team, das aktuell überwiegend aus Software-Entwicklern besteht, auf heute knapp 40 Mitarbeitende inklusive Werksstudierende. «Der Bedarf ist riesig», sagt Jonas Reiling. «Wir denken, dass wir perspektivisch noch weitere Arbeitsplätze schaffen.»
Prototypen sind schon längst im Einsatz
Als erster großer potenzieller Kunde ist die Drogeriemarktkette dm mit im Boot. Zur Erprobung sind bereits zwei Prototypen des Ubica-Scanroboters regelmäßig in dm-Filialen im Einsatz. «Der Roboter kann schon praktisch alles, was relevant ist», sagt Georg Bartels. «Wir befinden uns jetzt in der Langzeittestung. Ziel ist es, im kommenden Jahr in die Serienproduktion einzusteigen.» Die Aussichten sind vielversprechend: Obwohl sich die Jungunternehmer bisher mit Öffentlichkeitsarbeit noch bewusst zurückgehalten haben, weil sie erst die Testphase beenden wollen, haben sie schon Anfragen von weiteren Einzelhandelsketten.
(Text und Bild: WFB Wirtschaftsförderung Bremen – Jörg Sarbach)
Bremen ist ein idealer Standort für die Robotik
Den Wirtschaftsstandort Bremen haben die beiden, die ursprünglich nicht aus der Gegend kommen, längst schätzen gelernt. Im Rahmen der Unternehmensgründung haben sie verschiedene Programme aus dem Bremer Gründungsökosystem wahrgenommen – unter anderem eine Beratung durch das «Starthaus», das zentrale Anlaufstelle für Start-ups in der Stadt ist. Für eine Entwicklung wie ihre sei der Standort Bremen ideal, meint Jonas Reiling: «Wir können hier auf kluge Köpfe in einem guten KI-Umfeld zurückgreifen. Zugleich ist Bremen auf der Robotik-Landkarte noch nicht so überlaufen, dass es unüberschaubar wäre. Wir können uns darum gut vernetzen und denken, dass uns das perspektivisch weiterbringen wird.»
Läuft alles nach Plan, soll in einigen Jahren in jeder Filiale der künftig beteiligten Einzelhandelspartner ein eigener Roboter unterwegs sein. «Wir sprechen von mehreren tausend Geräten, für die wir regelmäßig Support und Software-Anpassungen liefern werden», betont Georg Bartels. «Sobald wir in Serie gehen, wird unser Unternehmen für den Bereich der Service-Robotik Neuland betreten – das wird sicher eine spannende Zeit» (Text und Bild: WFB Wirtschaftsförderung Bremen – Jörg Sarbach).
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