Samstag, 2. November 2024

VGMS-Getreidetagung: Nachhaltigkeit bleibt zentrales Thema

Berlin. (vgms) Gemeinsam mit dem Lehrstuhl für Brau- und Getränketechnologie an der TU München in Freising-Weihenstephan fand Mitte Juli die VGMS-Getreidetagung 2024 in Weihenstephan statt. Nachhaltigkeit ist und bleibt das zentrale Thema für die gesamte Getreidewertschöpfungskette. Darin waren sich die fast 100 Vertreter von Müllerei, Landwirtschaft, Agrarhandel, Bäckerei, Einzelhandel sowie Politik und Wissenschaft während der 23. Weihenstephaner Getreidetagung einig. Sie kann nur gemeinsam erreicht werden. Laut Luisa Rölke vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) ist zum Erreichen der Nachhaltigkeitsziele 2030 noch einiges zu tun. Sie bedauert, dass der Bundesrat die vorgeschlagene Änderung des Düngegesetzes abgelehnt hat, hätte sie doch mit Nährstoffbilanzen und Nährstoffmonitoring wesentlich mehr Differenzierung in der Praxis ermöglicht. Was die Kette bereits tut und welche technischen Lösungen es gibt, zeigten die Vorträge von Harry-Brot, DLG und improvin’. Moritz von Köckritz von der von der Saatgut-Treuhandverwaltungsgesellschaft stellte noch einmal klar: «Ohne Züchtung keine zukunftsfähigen Sorten». Es sei im Interesse von Landwirtschaft und Ernährungswirtschaft, sich aktiv daran zu beteiligen. Sortenempfehlungen gab Lorentz Hartl von der LfL. Carina Stoll von der TU-München stellte WASI vor, eine Möglichkeit die Amylase-Aktivität zu regulieren.

«Strategien zur Bewältigung des Klimawandels», sagte Luisa Rölke vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, «müssen gemeinsam mit der Nahrungsmittelwirtschaft entwickelt werden. Denn sie ist Teil der Lösung und leistet ihren Beitrag zur Nachhaltigkeit.» Luisa Rölke verwies dabei auf das Ziel, die CO2-Emissionen bis 2030 um 26 Millionen Tonnen zu reduzieren. Neun Prozent der gesamten CO2-Emissionen kämen immer noch aus der Landwirtschaft. «Wo Böden überdüngt sind, müssen wir gemeinsam vorgehen. Umso bedauerlicher, dass der Bundesrat die Novelle des Düngegesetzes abgelehnt hat. Damit gelten weiter pauschale Einschränkungen und nicht das Verursacherprinzip.» Die vorgeschlagenen Änderungen sollten ermöglichen, dass in roten Gebieten Differenzierungen vorgenommen werden können. Dafür sei aber eine gute Datengrundlage notwendig. Dabei sei der bürokratische Aufwand für die Stoffstrombilanz «nicht so groß». Umso mehr hebt Luisa Rölke die Initiative «Erweiterung der Qualitätskriterien Backweizen» heraus: Das Ziel, mit weniger Stickstoff gleichbleibende Backqualitäten zu erreichen, sei eine wichtige Maßnahme im Klimaprogramm der Bundesregierung, die konstruktive Mitarbeit der Verbände begrüßt sie sehr.

Norbert Lötz von Harry-Brot berichtet: «Unsere Produktionsabläufe sind energieintensiv. Ressourcen sparen kann nur, wer seine CO2-Emissionen kennt und entsprechend anpasst. Deshalb sehen wir genau hin.» Energie- und Wassermanagement sind zentrale Stellschrauben im Prozess. Aber auch die Reduktion des CO2-Eintrags über die Rohstoffe ist ein wesentlicher Ansatzpunkt der Optimierung. Vom Feld über die Mühle bis zur Produktion in der Bäckerei, überall sieht Norbert Lötz Möglichkeiten, CO2 zu vermeiden oder zu reduzieren: «Diese Chancen müssen wir prüfen und nutzen». Harry-Brot hat gemeinsam mit Partnern ein Projekt ins Leben gerufen, das vorsieht, grünen und damit weniger CO2-intensiven Dünger zu nutzen. So ist es möglich, den CO2-Fußabdruck im Weizenanbau deutlich zu senken. «Allerdings hat grün erzeugter Stickstoff nur Zukunft, wenn die Verbraucher bereit sind, dafür mehr auszugeben», so Norbert Lötz.

Angepasste Sorten auf dem Acker sind ein weiterer Schlüssel, um den Herausforderungen der Zukunft zu begegnen. Forschung und Entwicklung dazu muss bezahlt werden, weswegen das Urteil des BGH ein deutliches Signal an die Landwirtschaft ist, sich im eigenen Interesse aktiv daran zu beteiligen. «Mit der Erntegut-Bescheinigung bieten wir einen für Handel und Landwirtschaft kostenfreien und weitgehend unbürokratischen Service an, mit dem die rechtmäßig erzeugte Ernte dokumentiert werden kann», erklärt Moritz von Köckritz von der Saatgut-Treuhandverwaltungsgesellschaft. «Abnehmer müssen sich nach Vorlage der Erntegut-Bescheinigung nicht eigenständig um weitere Informationen über die rechtmäßige Erzeugung der Ware kümmern», so von Köckritz.

Immer mehr Unternehmen der Wertschöpfungskette verlangen Nachhaltigkeitsnachweise. Taxonomie, Nachhaltigkeitsberichtserstattungspflichten oder das Lieferketten-Sorgfaltspflichtengesetz setzen Nachweise einer nachhaltigen Produktion voraus. Die Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft bietet landwirtschaftlichen Betrieben ein Nachhaltigkeitszertifizierungssystem für den Ackerbau an, um den Anforderungen nachkommen zu können, so Erik Guttulsröd, stellvertretender Geschäftsführer im DLG-Fachzentrum. Das Nachhaltigkeitsprofil eines Betriebes wird im DLG-Programm anhand von 23 Indikatoren aus den vier Bereichen Ökologie, Soziales, Management und Ökonomie erstellt. Guttulsröd betont, dass Nachhaltigkeit nicht reine Regulatorik ist, sondern der Wertschöpfung, der landwirtschaftlichen Produktivität und der betriebswirtschaftlichen Optimierung dient.

Steffen Zitzmann von improvin‘ aus Stockholm präsentiert technische Ansätze und geeignete Werkzeuge, mit denen der ökologische Fußabdruck berechnet und kommuniziert werden kann. Sein Unternehmen bietet eine Plattform für Agrar- und Landwirtschaftsunternehmen an. Die gesammelten Daten können mit Warenwirtschaftssystemen von Unternehmen verknüpft werden. Integriert in Farm Managementsysteme können die Daten aus der Landwirtschaft für die Berechnung des CO2-Fußabdruckes verarbeitet werden. Dabei unterstützt improvin‘ als Software-Provider die Visualisierung und Verwaltung der Daten.

Carina Stoll von der TU-München klärt über die Mechanismen der alpha-Amylase-Aktivität in Backwaren auf: «Mit WASI gibt es ein geeignetes Instrument zur Aufklärung von Wirkmechanismen in Mehlen und Teigen. Das Inhibitorprotein kann auch zur gezielten Steuerung und Beeinflussung von technischen Prozessen eingesetzt werden. So können getreidebasierte Inhaltsstoffe in Zukunft bestmöglich und zielgerichtet eingesetzt werden». Ein spannendes Forschungsprojekt, das dazu beitragen kann, in schwierigen Erntejahren Getreidequalitäten für die Herstellung von Backwaren zu sichern.

Lorenz Hartl von der LfL Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft in Freising stellt in seinem Vortrag aktuelle Sortenversuche für Weizen, Roggen und Dinkel vor und leitet daraus Sortenempfehlungen für den Anbau ab: «Nachhaltigkeit haben wir schon immer betrieben, wenn wir mit den eingesetzten Ressourcen die bestmöglichen Mengen erzielt haben», betont Hartl. So weisen viele Sorten trotz geringem Rohprotein eine gute Backqualität auf. Sorten mit hohem Ertrag und gleichzeitig guter Backqualität nutzen Produktionsmittel effizient. Die Beschreibende Sortenliste liefert alle wichtigen Informationen für Landwirtschaft und Müllerei.

Die Getreidetagung wird vom VGMS gemeinsam mit dem Bayerischen Müllerbund und der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft LfL in Zusammenarbeit mit der TU-München veranstaltet. Stefan Blum, Vorsitzender des Verbandes Bayerischer Handelsmühlen, begrüßt die Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Internationalen Getränkewissenschaftlichen Zentrum Weihenstephan. Das Thema Nachhaltigkeit bestimmte auch in diesem Jahr das Programm. «Verständlich – denn Nachhaltiges Wirtschaften ist Aufgabe der gesamten Getreidekette», so Blum. Dies zeige auch der Kreis der Teilnehmerinnen und Teilnehmer: von Züchtung, Landwirtschaft und Mühle bis hin zum Lebensmitteleinzelhandel sind alle Branchen vertreten.

LfL-Präsident Stephan Sedlmayer fügt hinzu: «Nachhaltigkeit in der Rohstoffproduktion ist ein zentrales Thema. Bodenschutz, Pflanzenbau, aber auch angepassten Pflanzenschutz wollen wir in der Landwirtschaft in Bayern voranbringen. Wir arbeiten in unseren Instituten daran, dass das heimische Getreide unter den sich ändernden Rahmenbedingungen bestmöglich produziert wird, die Qualität eine angemessene Wertschätzung erfährt und in regionalen Wertschöpfungsketten vor Ort – noch mehr als bisher – weiterverarbeitet wird.»

Professor Thomas Becker vom Lehrstuhl für Brau- und Getränketechnologie in Freising-Weihenstephan sieht es als zentrale Aufgabe der TU-München schneller Antworten und Lösungen auf essenzielle Herausforderungen wie den Klimawandel zu finden. In seinem Grußwort kündigt er an, dass die Institute im neuen Agrarzentrum in Weihenstephan noch enger zusammenarbeiten werden, um Infrastruktur und Know-how gemeinsam zu nutzen und Synergieeffekte weiter zu entwickeln.