Samstag, 27. Juli 2024
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Aus dem Backhaus: Alltägliches kann so besonders sein

Stuttgart. (tmbw) Sepia, Rote-Bete-Saft und Holzkohle sind nicht die typischen Brot­zutaten. Doch Jörg Schmid ist auch kein gewöhnlicher Fachmann. Der Bäckermeister und Brotsommelier spielt oft mit Gewürzen und Farben, weiß aber auch traditionelle Brote zu schätzen. Vor einiger Zeit traf er sich zum Erfahrungsaustausch mit den Landfrauen Heike Klaß und Jutta Gluiber im Beurener Backhaus.

«Los geht’s», ruft Heike Klaß aus der Tür, «der Ofen hat 300 Grad, wir müssen uns beeilen.» Schließlich warten 45 Brotlaibe darauf, gedrückt und gewirbelt zu werden. Sind die Dinnete schon fertig?

Das Backhaus, in dem Klaß gemeinsam mit den Landfrauen von Beuren-Balzholz und Bäckermeister Jörg Schmid backt, liegt in Beuren. In der idyllischen Gemeinde am Fuß der Schwäbischen Alb gibt es insgesamt vier solche Häuschen, von denen zwei noch in Betrieb sind. Das Obere­ Backhaus im historischen Kern, das privat genutzt werden darf, und das über 100 Jahre alte Backhaus im Freilichtmuseum Beuren, in dem Backkurse angeboten werden. Nahezu jede Gemeinde besaß früher ein Backhaus. Es waren lange die einzigen Orte, an denen überhaupt gebacken werden durfte, da Privatöfen im 17. Jahrhundert aus Brandschutzgründen verboten waren. Heute hat zwar jede Wohnung ihre voll ausgerüstete Einbauküche, dennoch werden die mächtigen Steinöfen von Beuren wieder regelmäßig angeheizt. Das ist nicht nur ein echtes Event für die Landfrauen und Familien von Beuren. «Es ist nachhaltig und sehr befriedigend, nach einem arbeitsintensiven Tag solch ein tolles Produkt in den Händen zu halten», findet Jutta Gluiber.

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Sobald die Türen des Backhauses geöffnet werden, geht die Arbeit los. Die einen schichten getrockneten Obstholzschnitt in den großen Ofen und feuern ihn an. Die anderen bereiten in einem kleinen Nebenraum die Brotteige vor, belegen Dinnete, eine Art schwäbische Flammkuchen, und formen süße Zimtschnecken.

Erfahrungsaustausch zwischen Brotsommelier und Landfrauen

Als der Ofen die 350-Grad-Marke erreicht, macht sich Jörg Schmid an die Arbeit. Der Bäckermeister hat in seiner Bäckerei in Gomaringen einen Pane di Semola-Teig vorbereitet, ein Brot aus italienischem Hartweizenmehl. Beim Kneten und Formen erzählt er Jutta Gluiber und Heike Klaß von seinem Brot und dem Alltag als Bäckermeister und Brotsommelier. In seiner Kreation verwendet er einen «Madre», einen italienischen Sauerteig, den er schon vor Tagen angesetzt hat. Der wurde in den Semola-Teig gemischt, der dann noch einmal 24 Stunden lang reifen durfte. «Das ist gut fürs Aroma. Ein gutes Brot braucht Zeit. Und einen Sauerteig», sagt der Profi. «Fertig gebacken ist das Pane di Semola wattig und locker zart, mit schönen Röstaromen, einer Sauerspitze im Abgang und einem leichten Zimtaroma», schwärmt Schmid.

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Wer, wenn nicht ein Brotsommelier, könnte den Geschmack eines Brotes so genau beschreiben? Doch das Ziel dieser Fortbildung an der Akademie in Weinheim ist in erster Linie das Foodmatching. Welches Brot passt zu welchem Belag, zu welchen Speisen und zu welchem Getränk? Um das alles zu verstehen und anwenden zu können, lernen die Bäckermeister bei der Weiterbildung die Geschichte und Kultur des Brotes kennen – und so einiges über Ernährung im Allgemeinen. Jörg Schmid erzählt, dass er sein Wissen nicht zuletzt nutzt, um seine Mitarbeitenden und Kunden in Gomaringen noch stärker für das wertvolle Lebensmittel Brot zu begeistern und für seine Besonderheiten zu sensibilisieren.

Traditionelle Brote und neue Kreationen teilen sich den Backraum

Hübsch in Form gewickelt, können seine Semola-Brote noch etwas ruhen, denn zuerst kommt etwas anderes in den Ofen. Bei einem Tag im Backhaus wird traditionell nicht nur Brot gebacken: Der Ofen wird zu Beginn auf 400 Grad aufgeheizt und kühlt dann stundenlang ab. Dabei wird nahezu jede Temperatur genutzt: Bei 320 Grad backen Dinnete, die herzhaften schwäbischen Flammkuchen, bei 280 Grad die Brote. Ab 220 Grad kommen Hefezopf und Teilchen rein und danach Rührkuchen.

«400 Grad.» Jetzt muss es schnell gehen. Nach dem Ausfegen des Ofens und dem Backen der Dinnete werden über 45 Brote in den Ofen eingeschossen. Die vorgeformten Laibe landen ganz hinten, dann kommt das Netzbrot. Netzbrotteig hat einen hohen Wasseranteil und wird deswegen nicht in Laibe geformt, sondern in den Ofen geschapft. Dafür wird eine Kelle, die an einem langen Stab befestigt ist, nass gemacht, eine Portion Teig in die Kelle gefüllt und darauf eine Handvoll Kleie verteilt. Die Kelle wird in den Ofen geschoben und der Teig mit einer schnellen Drehung auf die Steinplatte verfrachtet. Schmids Brote landen als letzte im Ofen – die Bäckerinnen können endlich verschnaufen. Und verkosten, denn der Bäckermeister hat einiges mitgebracht, wozu er gerne die Meinung der Landfrauen hätte.

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Wie Tussibrot und Machostange zu ihren Farben kommen

Die Tussi- und Machostangen sind als Erstes verputzt. Nicht nur, weil sie durch ihre rosa und schwarze Farbe besonders auffällig sind, sondern auch weil sie mit ihren Chia-Leindotter-Basilikumsaat und dem Holzkohle-Salz-Knoblauch-Topping besonders gut schmecken. Auch Jörg Schmid probiert seine Brote konzentriert. Er riecht daran, fühlt und kaut lange – alles mit geschlossenen Augen. Auch nach zwanzig Jahren als Bäcker und sieben als Brotsommelier empfindet er Brot immer noch als etwas Besonderes. Und er teilt sein Wissen gerne. Er verrät etwa, wie das schwarze Wurzelteigbrot (Machostange) und das rosafarbene Dinkelbaguette (Tussibrot) zu ihren Farben kommen: durch das Beimischen von Sepia und Rote-Bete-Saft. Vor allem beim Rote-Bete-Saft müsse man jedoch vorher entscheiden, wie das Endprodukt aussehen solle, verrät Schmid. Soll es auch innen rosafarben sein, müsse man das Brot sofort backen. Ließe man die Teiglinge über Nacht stehen, würden sie durch die Fermentation nur außen rosafarben sein.

Schmid: «Unser Brothandwerk ist eine Mischung aus Tradition und Innovation. Wir arbeiten sehr naturbelassen, toben uns aber gerne mit besonderen Gewürzen und Farben aus, um zu zeigen, wie wir in meiner Bäckerei Brot verstehen.» Die Begeisterung ist gegenseitig: Auch das ofenfrische Brot der Landfrauen schmeckt dem Brotsommelier. «So gerne ich innovative Rezepte erfinde, mag ich traditionelle und puristische Brote doch am liebsten», sagt er verschmitzt. «Und ich bekomme richtig Lust, neue Kreationen auszuprobieren», lächelt Jutta Gluiber versonnen und beißt in das köstliche Pane di Semola (Text: Tourismus Marketing BW – Fotos: TMBW Gregor Lengler).