Berlin. (wwf) Die Agrarministerinnen und Agrarminister der EU-Mitgliedstaaten haben sich auf die Grundzüge der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) nach 2020 geeinigt. «Der EU-Agrarrat setzt seine zerstörerische Subventionspolitik zugunsten großer Agrarkonzerne fort. Obwohl sich Europas Natur in einem miserablen Zustand befindet und das Artensterben auf Europas Wiesen und Feldern weiter voranschreitet, legen die Ministerinnen und Minister eine desaströse Positionierung zur GAP-Reform vor», sagt Naturschutzvorstand Christoph Heinrich vom WWF Deutschland.
Der offiziell noch nicht vorliegende Beschluss des Agrarrats sieht vor, dass die Mitgliedstaaten nur 20 Prozent der Direktzahlung für ökologisch wirksame Maßnahmen, sogenannten Eco-Schemes, verwenden müssen – eine Berücksichtigung der Umweltausgaben in der 2. Säule ist möglich, zudem sollen nicht verausgabte Eco Schemes-Mittel nach einer zweijährigen Lernphase in der 1. Säule verbleiben. Damit missachten die Ministerinnen und Minister die Fülle wissenschaftlicher Einschätzungen und Empfehlungen zur strikten unmittelbaren Kopplung der EU-Direktzahlungen an erbrachte und messbare Ökosystemleistungen. «Was der Agrarrat hier vorlegt hat, ist ein fauler Kompromiss, der keinen ökologischen Mehrwert zur vorherigen Förderperiode darstellt. Um ausreichende Wirkung zu entfalten, müssten es eigentlich verbindliche 50 Prozent sein, als minimaler Einstieg wären gerade noch mindestens 30 Prozent akzeptabel», kritisiert Heinrich.
Bei der Festlegung des prozentualen Mindestanteils von nichtproduktiven Flächen (GLÖZ 9) sieht der EU-Agrarrat offenbar fünf Prozent vor. Allerdings könnte diese Regelung möglicherweise nur für Betriebe mit einer Fläche ab zehn Hektar gelten. «So oder So: ein wirklich schlechtes Verhandlungsergebnis. Mindestens zehn Prozent der Flächen müssen wirklich naturbelassen sein, sonst gibt es keine positiven Effekte für den Artenschutz. Eine solche Regelung muss für alle Betriebe gelten», sagt Heinrich vom WWF. Auch der Europäische Rechnungshof hatte der bisherigen Praxis des sogenannten Greenings Wirkungslosigkeit attestiert.
Derzeit verhandeln noch die Abgeordneten des Europäischen Parlaments über eine gemeinsame GAP-Positionierung. Sollten sich auch die EU-Parlamentarier am Ende nicht für eine fortschrittliche Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik aussprechen, könnten die anschließenden Trilogverhandlungen zu einem Desaster für den Klima- und Umweltschutz werden. Die bisherigen Abstimmungen lassen allerdings auf nichts Gutes hoffen. Alle gemeinsam von EVP, S+D und RENEW eingebrachten und am Dienstagabend abgestimmten Kompromissanträge wurden vom EU-Parlament angenommen, was trotz eines Mindestbudgets von 30 Prozent bereits auf eine deutliche Verwässerung der qualitativen Anforderungen an die Eco-Schemes hinausläuft. Eine finale Entscheidung des Europäischen Parlaments wird für Freitagabend erwartet.
Erst am Montag hatte der neue Bericht zum Zustand der Natur in Europa erneut dokumentiert, wie schlecht es um die biologische Vielfalt in der Europäischen Union steht. Laut Bericht der Europäischen Umweltagentur (EEA) sind 81 Prozent aller von der EU geschützten Lebensräume in einem schlechten Zustand und werden die Hauptziele der Biodiversitätsstrategie der EU verfehlt. Beim Erhalt und Zustand der Arten schneiden nur vier EU-Länder noch schlechter ab als Deutschland.
Weitere Stellungnahmen zum EU-Agrarrat und ein Kommentar
Bremerhaven. (21.10. / eb) Die Ergebnisse des EU-Agrarrats in Bezug auf die Reform der Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik (GAP) werfen einmal mehr die Frage auf, wie weit sich der Politikbetrieb vom wirklichen Leben entfernt hat. Auch regiert der Deutsche Bauernverband (DBV) nach wie vor relativ unverfroren und ungehindert bis nach Brüssel durch. Als Stellvertreter der Chemie- und Agrarindustrie vertritt der DBV schon lange nicht mehr die Interessen der bäuerlichen Landwirtschaft in Deutschland. Seine «Schläfer» sitzen jedoch seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland an allen für ihn wichtigen Schaltstellen der Macht und setzen die Interessen des Verbands konsequent um. Wer an den Schalthebeln der Macht sitzt, der sitzt natürlich auch an den Subventionstöpfen. Wie sonst ist zu erklären, dass Europas Steuerzahler heute 390 Milliarden Euro allein dafür blechen müssen, dass zu viel und zu billig produziert wird? In nicht allzu ferner Zukunft werden Europas Steuerzahler noch eine weitere Rechnung präsentiert bekommen – nämlich wenn es darum geht, die Umweltschäden zu korrigieren, die diese zerstörerische Form der Agrarwirtschaft nach wie vor anrichten darf. Die Kritik aus dem Umweltschutz und der bäuerlichen Landwirtschaft an den aktuellen Beschlüssen ist deutlich und nahezu einhellig. Die folgende Auswahl an Stellungnahmen hätte beliebig fortgeführt werden können, bildet aber schon das gesamte Spektrum ab:
Demeter: Klima und Umwelt sind Europa egal
Darmstadt. (dev) Der Hoffnung, dass mit den klaren Leitplanken der Farm-to-Fork Strategie nun die EU-Agrarpolitik endlich zukunftsfähig reformiert wird, haben EU-Agrarministerrat und EU-Parlament den Wind aus den Segeln genommen – registriert der Demeter Verband die Beschlüsse mit Entsetzen.
Bioland: Europa zementiert den agrarpolitischen Stillstand
Mainz. (bl) Rückschritt statt Systemwechsel. Europa zementiert den umweltpolitischen Stillstand in grünem Geschenkpapier. Jan Plagge, Präsident des Bioland Verbands, kommentiert die Richtungsbeschlüsse vom Agrarrat und Europaparlament zur GAP-Reform einigermaßen fassungslos.
Die Grünen: Klöckners «Systemwechsel» ist ein Etikettenschwindel
Brüssel / BE. (efa) Auch wenn es kaum noch was nützt: So einfach wollen die Grünen im Europäischen Parlament Agrarministerin Julia Klöckner mit ihrer ungenauen Erklärung zu den Beschlüssen des Agrarrats nicht davonkommen lassen und haben ein paar Fakten gegenübergestellt.
Naturland: Anti-Reform-Deal ist Verrat an Umwelt- und Klimaschutz
Gräfelfing. (nl) Als Verrat an Umwelt- und Klimaschutz kritisiert der Öko-Verband Naturland die Beschlüsse von EU-Agrarrat und EU-Parlament zur GAP-Reform. Mit diesem Anti-Reform-Deal werde nicht die Zukunft der europäischen Landwirtschaft gestaltet, sondern ihre Vergangenheit auf Jahre hinaus festgeschrieben.
EU-Agrarpolitik: Wie aus dem Green Deal Ursulas Mondfahrt wird
Bremerhaven. (usp) Aus den hochfliegenden Plänen von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ist nicht viel geworden. Man mag sie nicht mal mehr mit einem Tigersprung vergleichen. Für künftige Generationen kann man nur hoffen, dass sie nicht vollständig als Bettvorleger enden.
EU-Biodiversitätsstrategie: «Agrarminister sabotieren Masterplan»
Berlin. (nabu) Der EU-Umweltrat erteilte der EU-Biodiversitätsstrategie grünes Licht. Ein großer Erfolg von Bundesumweltministerin Svenja Schulze angesichts der Haltung des EU-Agrarrats. Der setzt, mit Agrarministerin Julia Klöckner an der Spitze, weiterhin auf Boykott und tut so, als gäbe es die großen Schäden nicht, die die Agrarindustrie nachweislich verursacht hat – und weiterhin verursachen darf.
Deutsche Wissenschaftsakademien fordern zügige Öko-Wende
Halle / Saale. (naw) Die biologische Vielfalt ist hierzulande stark zurückgegangen. Die deutschen Akademien der Wissenschaften geben Empfehlungen, was zügig zu tun wäre.
Arge bäuerliche Landwirtschaft: So werden keine Probleme gelöst!
Hamm / Westfalen. (abl) Sowohl EU-Parlament als auch Agrarrat haben weitreichende Entscheidungen zur Ausgestaltung der Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik (GAP) getroffen. Elisabeth Fresen, Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), kommentiert die Beschlüsse.
Greenpeace: Klassische Klientelpolitik für Großbetriebe
Hamburg. (gpd) Unter Leitung von Agrarindustrieministerin Julia Klöckner hat sich der EU-Agrarministerrat auf eine gemeinsame Position zur GAP-Reform geeinigt. Die ohnehin schon schwache Vorlage der EU-Kommission sei nun bis zur Unkenntlichkeit verwässert, meint Greenpeace.
WWF: EU-Agrarreform Katastrophe für Natur- und Klimaschutz
Berlin. (wwf) WWF Deutschland hält sich nicht lange an der Klientelpolitik für Großbetriebe und Chemiekonzerne auf, sondern richtet seinen Fokus auf die verpassten Chancen im Natur- und Klimaschutz für alle Bürger. Das Artensterben darf weitergehen und die Zukunft künftiger Generationen gefährden.
NABU: Agrarminister erteilen Green Deal eine Kampfansage
Berlin. (nabu) Die Einigung der EU-Agrarminister zur künftigen gemeinsamen Agrarpolitik bewertet der Naturschutzbund Deutschland (NABU) als Armutszeugnis für die Politik.
Bitter: Agrarministerin fährt Chance bewusst an die Wand
Berlin. (heb) Harald Ebner, MdB, Obmann der Grünen im Bundestagsausschuss für Ernährung und Landwirtschaft, kritisiert den Kompromiss im Agrarrat scharf und wirft Ministerin Julia Klöckner vor, den Green Deal bewusst aushebeln zu wollen. Kommissionspräsidentin von der Leyen werde vorgeführt.
Die Grünen: EU-Agrarminister beerdigen den Green Deal
Brüssel / BE. (efa) Mit dem Beschluss des EU-Agrarrats für die künftige Gemeinsame Agrarpolitik ist der groß angekündigte Green Deal beerdigt worden, sagt Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen im EU-Parlament.
Green Deal: Stellungnahme der Agrarministerin
Berlin. (eb) Rückwärtsgewandte Politik ist schlecht für die Bauern und schlecht für die Umwelt. Belohnt wird weiterhin, wer zu billig und zu viel produziert. Julia Klöckner hat einmal mehr gezeigt, wessen Geistes Kind sie ist. Die originale Mitteilung für die Medien aus dem BMEL gibt es hier zum Nachlesen.
Kommentar: Rückwärtsgewandte Klientelpolitik ist schlecht für echte Bauern und schlecht für die Umwelt. Belohnt wird weiterhin, wer zu billig und zu viel produziert. Julia Klöckner hat einmal mehr gezeigt, wessen Geistes Kind sie ist. Nicht, dass das noch irgendwen überraschen könnte – wäre das Ergebnis nicht so traurig für den Umwelt- und den Artenschutz, für künftige Generationen und eine lebenswerte Zukunft. Es gehört schon ziemlich viel Chupze dazu, die politische Breitseite gegen die Ziele der EU-Kommission als «Meilenstein» und «Systemwechsel» zu verkaufen. Alles soll bleiben wie es ist – das ist die Botschaft.
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