Detmold. (agf) Nicht nur für Berufsschullehrer (m/w/d) waren die diesjährigen 33. Detmolder Studientage der Arbeitsgemeinschaft Getreideforschung (AGF) äußerst interessant, sondern für all jene, denen Brot und Getreide in Handwerk und Handel wichtige Themen sind. Mit etwa 100 Besuchern war die Veranstaltung sehr gut besucht, die Vorträge hochkarätig und das Themenspektrum umfangreich.
Zwischen den für die Studientage «klassischen» Themen wie «Aus- und Weiterbildung», «Lebensmittelrecht», «Marketing + Kaufverhalten», «Rohstoffe + Analytik» hatte sich nicht zuletzt unter der Rubrik «Praxis» ein besonderer Schwerpunkt dieser Studientage herausgebildet: die enormen Herausforderungen, die die Verbesserung der Situation von Flüchtlingen im Berufsschulalltag darstellen. In ihrem Vortrag «77 Nationen an einer Berufsschule – Chancen und Grenzen der Sprachförderung im Dualen System» gab Astrid Opitz von der Berufsbildenden Schule 2 der Region Hannover tiefe Einblicke in die zu bewältigenden Probleme. Ein großes Kopfnicken im Publikum begleitete ihre Ausführungen, und in der anschließenden Diskussionsrunde wurde deutlich, mit welchem Engagement die Lehrer/innen sich diesen Aufgaben widmen.
Viele der Tagungsteilnehmer bilden Flüchtlinge aus, doch ihre Erfahrungen sind sehr unterschiedlich. Dabei sahen viele die Migranten durchaus als Chance, manche sogar als Rettung der Ausbildung im Backhandwerk in den Regionen, weil jene im Gegensatz zur autochthonen Bevölkerung (eingeboren, hier entstanden) die harte körperliche Arbeit und die langen nächtlichen Arbeitszeiten weniger scheuten. So stellte Nils Vogt vom Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks (Vortrag: «Die Ausbildungssituation im Bäckerhandwerk») fest: «Die Lehrlingszahlen haben sich seit 2008 halbiert, und etwa ein Drittel der Ausbildungsplätze bleibt unbesetzt. Das Handwerk hat für viele junge Menschen ein Imageproblem.»
Malte Diercks, Projektkoordinator für das IHAFA-Projekt der sechs niedersächsischen Handwerkskammern, musste jedoch in Bezug auf die Situation der Flüchtlinge in seinem Vortrag feststellen, dass sich das Asylrecht und die Integrationsbemühungen an den Berufsschulen konterkarieren. So schützt zum Beispiel eine Ausbildung nicht vor einer Abschiebung, was trotz generell hoher Leistungsbereitschaft die Motivation der Asylanten erwartungsgemäß dämpft. Jenseits der Probleme mit dem Asylrecht bleibt die Sprache allerdings der Knackpunkt aller Integrationsbemühungen. Hier wäre vor allem das BAMF stärker in die Pflicht zu nehmen, mehr Mittel weniger bürokratisch für die Sprachförderung bereitzustellen.
Aber noch andere Vorträge machten die Tagung nicht nur zu einer lehrreichen, sondern zu einer inspirierenden Veranstaltung. So zum Beispiel der Bildervortrag von Bernd Ludwig von der Firma Heuft Backofenbau über seine Reisen zu den Bäckereien der Welt, der sich als hervorragende Hilfe bei der Lösung des Imageproblems im Backhandwerk anbietet. Auch wenn Deutschland, wohl nicht zuletzt wegen der ungeheuren Brotvielfalt, für ihn immer noch das «Brot-Land Nr.1» ist, so stellt er klar, dass auch in anderen Teilen der Welt hervorragend gebacken wird. Er zeigte anhand von Bäckereien aus aller Welt mit hochinnovativen Backkreationen und modernen Marketing-Ansätzen, wie zum Beispiel der gläsernen Bäckerei, dass es auch Bäcker gibt, die dem Beruf so etwas wie Glamour verleihen. Auch wenn es vielleicht zu beklagen sei, dass der «echte» handwerkliche Bäcker «fast ein Nischenphänomen» geworden ist, so bietet die Automatisierung und Digitalisierung auch Chancen, sich auf «das Wesentliche» zu konzentrieren und die Backqualität und -vielfalt tatsächlich zu verbessern, da zum Beispiel lange Teigführungen heutzutage auch problemlos bei industrieller Linienführung möglich sind.
So klang es auch in anderen Vorträgen an, wie zum Beispiel dem von Linda Meyer-Veltrup und Karen Bartelt vom Heinz-Piest-Institut: «Chancen und Möglichkeiten der Digitalisierung: Mehr Zeit für’s echte Handwerk?» «Am Beispiel eines zeit- und temperaturgesteuerten Sauerteigbereiters und einer Verwiegeanlage wird verdeutlicht, wie durch Digitalisierung althergebrachte Herstellungsverfahren wiederbelebt werden können. In 24 Stunden ist es möglich, einen aufwendigen Natursauerteig in drei Stufen, wie zu Urgroßvaters Zeiten, herzustellen – ohne Konservierungsmittel, Stabilisatoren und chemische Hilfsmittel.»
Eyüp Aramaz wiederum (Vortrag: «Warum Daten das neue Mehl sind»), Mitbegründer des Softwareunternehmens FoodTracks, sieht die Chancen der Digitalisierung vor allem in der Vermeidung von Abfall und der intelligenteren Steuerung der Abläufe im Handel. Viele weitere wichtige Themen wurden während der Studientage behandelt. Beispiele:
Dr. Hasan Taschan aus Jena führte in einem Vortrag durch das Dickicht der neuen EU-Kontroll-Verordnung 2017/625, und in einem weiteren sprach er über die Lebensmittelsicherheit beim «Trendfood Insektennahrung» und die seit 2018 zahlreichen Anträge für die Zulassung von Insekten als Lebensmittel. Die Zukunft dieses Trends – unter Kriterien der Nachhaltigkeit – sah er durchaus kritisch, solange herkömmliche Lebensmittel verschwendet würden und die CO2-Bilanz nicht geklärt sei.
Christian Holländer (fjol GmbH Münster) sprach in seinem umfassenden Vortrag über die Nachhaltigkeit im Bäckerhandwerk und den ZNU-Standard, der am Zentrum für Nachhaltige Unternehmensführung der Privaten Universität Witten/Herdecke entwickelt wurde. Die Zuhörer erfuhren zum Beispiel, dass Backwaren «zu den am Häufigsten weggeworfenen Lebensmitteln» gehören und dass die Salzaufnahme zu 35 Prozent dem Brotkonsum zugeschrieben wird.
Über den «Generationenkonflikt in der Unterrichtsgestaltung» referierte Andrea Hinxlage (ADB Nord gGmbH). Obwohl Smartphones mittlerweile fester Bestandteil in vielen Bereichen des Unterrichts sind, ist es für die Schüler wichtig, die anderen Medien nicht zu vernachlässigen: «Der Mix macht’s!» Doch selbst zwischen der noch jungen Referentin der «Generation Y» und der ihr folgenden «Generation Z», die sie betreut, macht sich schon jetzt ein Generationenunterschied bemerkbar, der ihr Sorgen bereitet, und ein Teilnehmer aus dem Publikum machte auf das Problem «Digitale Demenz» aufmerksam.
Von dem am weitesten angereisten Referenten, Prof. Emer. Dr. Ibrahim Elmadfa aus Wien, wurde das Fachpublikum auf den Boden der globalen Tatsachen geholt. «Versteckter Hunger» und Mangelernährung sind weiterhin weit verbreitet. Dabei sind Eisen- und Eiweißmangel die wichtigsten Faktoren, sodass mittlerweile viele Länder, wie zum Beispiel Saudi-Arabien, vor allem dem Weizenmehl bis zu zehn Mineralien und Vitamine beimengen. Experimente zeigen zudem, dass erhöhtes CO2 in der Atmosphäre direkt und indirekt die Eiweißproduktion in Pflanzen reduziert. Wie wir mit unserer Umwelt und unseren Lebensmitteln umgehen, wird sich ebenso, direkt und indirekt, auf unsere Lebensumstände in Deutschland auswirken (Fotos: AGF).
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