Kassel. (unk) Dürre, Hitze, Krankheiten, Schädlinge – die Liste der Anbaurisiken bei Getreide ist lang und sie wird mit zunehmender Unberechenbarkeit durch den Klimawandel wahrscheinlich noch länger werden. Ein Ansatz, um Stress für die Nutzpflanzen und damit Ertragsverluste zu puffern oder zu vermindern, ist die Erhöhung der Vielfalt auf dem Acker. Moderne Weizensorten bilden einheitliche Bestände. Jede einzelne Pflanze gleicht nicht nur äußerlich den anderen, sondern auch genetisch. Diese Sorten sind zwar sehr ertragsstark, jedoch teilen die einzelnen Weizenpflanzen nicht nur diese Stärke, sondern auch ihre Schwächen. Höchsterträge liefern moderne Weizensorten meist nur unter guten Bedingungen. Stellen sich Extreme oder Mangelverhältnisse ein, dann kann es schnell zu Ausfällen kommen, da die Anfälligkeiten der Einzelpflanzen immer identisch sind. Auch auf weniger günstigen Ackerstandorten kann das Hochleistungspotenzial der gängigen Liniensorten häufig nicht abgerufen werden.
Hier setzt das im Juni 2020 gestartete BAKWERT-Projekt mit einem innovativen Konzept an. Der Ansatz der Populationszüchtung setzt statt auf genetische Vereinheitlichung durch züchterische Selektion stärker auf genetische Vielfalt für höhere Stressresistenz innerhalb des Weizenbestandes. Heterogene Weizenpopulationen – auch «moderne Landrassen» genannt – basieren auf der Durchkreuzung mehrerer Hochleistungssorten. Sie können nicht nur Umweltstress gut abpuffern, sie passen sich durch eine Auskreuzung und natürliche Selektion im Bestand auch den Umweltbedingungen vor Ort an. So entsteht auf Basis von genetischer Vielfalt ein stabileres/resilienteres System, das zwar nicht die unter Optimalbedingungen möglichen Höchsterträge liefert, dafür aber mit weniger massiven Ertragseinbußen punkten kann.
Trotz nachweislich guter Anbau- und Backeigenschaften haben heterogene Weizenpopulationen aber bisher kaum Eingang in die Praxis gefunden. Im Rahmen des BAKWERT-Projekts der Universität Kassel, Fachbereich Ökologische Agrarwissenschaften werden in Kooperation mit dem Kompetenzzentrum Ökologischer Landbau in Baden-Württemberg (KÖLBW) und dem Berufsverband Die Freien Bäcker e.V. ökologische Wertschöpfungsketten bestehend aus landwirtschaftlichen Betrieben, Mühlen und Bäckereien über drei Jahre wissenschaftlich untersucht und begleitet. Das Institut für Getreideverarbeitung (IGV GmbH) wird umfangreiche Mahl- und Backversuche durchführen.
Das Forschungsvorhaben läuft bis Mai 2023 und wird vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) durch das Bundesprogramm Ökologischer Landbau und andere Formen nachhaltiger Landwirtschaft (BÖLN) gefördert. Ziel ist es, mit Hilfe eines partizipativen Ansatzes den Anbau, die Verarbeitung und Vermarktung von Populationsgetreide zu fördern. Auf Basis der Erfahrungen sollen gemeinsam mit den beteiligten Partnerbetrieben Optimierungspotenziale entlang der Wertschöpfungsstufen (Anbau, Mahl- und Backprozesse) erarbeitet werden. Die Kommunikation der Endergebnisse erfolgt durch ein «Populationshandbuch», um interessierten Praktikern und Praktikerinnen einen Leitfaden für die Nutzung, Verarbeitung und Vermarktung heterogener Populationen an die Hand geben zu können – für mehr Vielfalt vom Acker bis zur Ladentheke (Foto: pixabay.com).
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