Sonntag, 13. Oktober 2024

Superfood Hanf: neue Quelle für pflanzliches Eiweiß

Stuttgart. (uh) Hanf hat Zukunft: Er hat nicht nur ein enormes medizinisches Potenzial, auch als Grundlage für neuartige, ökologisch und nachhaltig hergestellte Lebensmittel rückt er zunehmend in das Interesse von Wissenschaft, Unternehmen und Verbrauchende. Forschende der Universität Hohenheim in Stuttgart haben sich nun mit dem Unternehmen Signature Products in Pforzheim zusammengetan, um innovative Verfahren, Technologien und Rezepturen für die Produktion proteinreicher Lebensmittel wie vegane Schnitzel, Tofu, Pasta et cetera aus regional angebautem Hanf zu entwickeln. Im Rahmen des Bioökonomie Innovations- und Investitionsprogramms für den Ländlichen Raum (BIPL BW) fördert das Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg (MLR) das Vorhaben mit rund 1 Million Euro. Davon entfallen rund 365.000 Euro auf die Universität Hohenheim, was es dort zu einem Schwergewicht der Forschung macht. Jetzt wurde das Projekt «Tastino» bei einem Feldtag auf der Versuchsstation Agrarwissenschaften, Teilstation Ihinger Hof der Universität, geladenen Gästen vorgestellt.

Die wachsende Weltbevölkerung, die zunehmende Verstädterung sowie das steigende Einkommensniveau führen weltweit zu einer verstärkten Nachfrage nach Fleisch und tierischen Lebensmitteln. Mit weitreichenden Folgen für die menschliche Gesundheit sowie Umwelt und Natur. «Abhilfe schaffen kann hier die Umstellung auf eine Ernährung mit überwiegend pflanzlichen Lebensmitteln. Sie gilt nicht nur als gesünder, sie ist auch deutlich nachhaltiger», sagt apl. Prof. Dr. Simone Graeff-Hönninger, Leiterin der Arbeitsgruppe Anbausysteme und Modellierung an der Universität Hohenheim.

Gesundes und nachhaltiges Eiweiß aus regional angebautem Hanf

Schon heute verzichten aus gesundheitlichen, ökologischen sowie ethischen Gründen immer mehr Menschen auf den Konsum von tierischem Eiweiß. Sie greifen stattdessen verstärkt auf Produkte zurück, die aus pflanzlichem Protein hergestellt werden. Noch ist der Markt für diese Fleischersatzprodukte relativ klein. Doch Florian Pichlmaier, Managing Director von der Signature Products GmbH, sieht ihn als sehr stark wachsend an: «Derzeit hat der Spitzenreiter Europa einen Anteil von 40 Prozent am weltweiten Gesamtmarkt für Fleischersatzprodukte und Fachleute schätzen, dass er im Jahr 2025 etwa 2,4 Milliarden Euro erreichen wird.»

Es braucht also neue pflanzliche Proteinquellen – und clevere Methoden, um sie zu erschließen. Zunehmend rückt dabei die sehr vielseitig nutzbare Hanfpflanze in den Mittelpunkt des Interesses. Dabei spielt ihre berauschende Wirkung keine Rolle: Nutz- oder Industriehanf ist praktisch frei von der psychoaktiven Substanz THC.

Im Projekt «schnitzel, hanftofu, pasta + co aus dem reallabor hanf – proteinbasierte lebensmittel aus regionalem hanfanbau» («Tastino») wollen die Forschenden und das Unternehmen Signature Products nun Hanf-Samen als neue Proteinquelle für die menschliche Ernährung erschließen.

«Die Samen weisen bis zu 25 Prozent Protein auf, dessen Zusammensetzung der von Eiklar gleicht. Es enthält alle essentiellen Aminosäuren und weist damit eine hohe biologische Wertigkeit auf», beschreibt Dr. Forough Khajehei, Mitarbeiterin der Arbeitsgruppe Anbausysteme und Modellierung, die Vorteile von Hanf-Protein. «Es ist zudem leicht verdaulich und hat eine wünschenswerte, zähe, fleischähnliche Textur, die im Mund das Gefühl erzeugt, auf Fleisch zu beißen.»

Doch nicht jede Hanfsorte ist für jedes Produkt geeignet. Insgesamt testen die Forschenden der Universität Hohenheim auf den Versuchsflächen des Ihinger Hofs bei Renningen derzeit rund 20 Sorten. Dabei interessieren sie sich zum Beispiel dafür, wie die idealen Anbaubedingungen aussehen müssen, ob die Pflanzen für Krankheiten anfällig sind oder wie hoch der Ertrag ist. Ihr spezielles Augenmerk gilt aber den Inhaltsstoffen der Samen, insbesondere der Proteinzusammensetzung und des Öles, und welche Hanfsorten für welche Produkte am besten geeignet sind.

Kooperation mit Hanfzulieferer

Die Forschenden am Institut für Kulturpflanzenwissenschaften der Universität Hohenheim kooperieren dabei mit einem der großen Hanfzulieferer in Europa, der zunächst in Form eines sogenannten Reallabors verschiedene Technologien oder Geschäftsmodelle unter realen Bedingungen erproben und zur Marktreife bringen wird.

Die Signature Products GmbH organisiert in Zusammenarbeit mit Landwirten, regionalen Verarbeitern, Vertretern der Gastronomie und des Lebensmitteleinzelhandels in Baden-Württemberg die vollständige regionale Wertschöpfungskette. So kümmert sich das Unternehmen um den gewerbsmäßigen Anbau des Hanfs, die Verarbeitung der Hanfsamen zu Protein und die Lebensmittelentwicklung sowie Abfüllung und Vertrieb.

Schon jetzt beliefert das Unternehmen Großkunden mit Hanfsamen und Hanfproteinen. Die meisten Produkte, die derzeit noch aus Soja oder Erbsen-Protein hergestellt werden, können zukünftig aus nachhaltig und regional hergestellten Hanfproteinen produziert werden. Da heute auch dessen Preis zum Beispiel mit dem von Soja vergleichbar ist, sieht Florian Pichlmaier eine rosige Zukunft für die nachhaltige Pflanze.

Begleitung gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und ökologischer Fragen

Nicht zuletzt soll das Projekt helfen, regionale Stoffkreisläufe zu schließen und die starke Nachfrage nach hochwertigen, protein-basierten, regional erzeugten Lebensmitteln zu erfüllen. Ein weiteres Ziel ist die Selbstversorgungsfähigkeit der Bevölkerung in Baden-Württemberg zu steigern und zukunftsfähige Arbeitsplätze zu schaffen.

Parallel untersuchen die Forschenden auch die gesellschaftliche und wirtschaftliche Nachhaltigkeit sowie die Akzeptanz der Produkte durch den Verbraucher oder die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Letztendlich sollen ihre Ergebnisse in Empfehlungen für politische Entscheidungsträger münden.

Hintergrund Schwergewichte der Forschung

33,8 Millionen Euro an Drittmitteln akquirierten Forschende der Universität Hohenheim 2020 für Forschung und Lehre. In loser Folge präsentiert die Reihe «Schwergewichte der Forschung» herausragende Forschungsprojekte mit einem finanziellen Volumen von mindestens 350.000 Euro für apparative Forschung respektive 150.000 Euro für nicht-apparative Forschung.

Hintergrund Wissenschaftsjahr 2020|2021 – Bioökonomie

In den Jahren 2020 und 2021 steht das Wissenschaftsjahr im Zeichen der Bioökonomie – und damit einer nachhaltigen, bio-basierten Wirtschaftsweise. Es geht darum, natürliche Stoffe und Ressourcen nachhaltig und innovativ zu produzieren und zu nutzen und so fossile und mineralische Rohstoffe zu ersetzen, Produkte umweltverträglicher herzustellen und biologische Ressourcen zu schonen. Das ist in Zeiten des Klimawandels, einer wachsenden Weltbevölkerung und eines drastischen Artenrückgangs mehr denn je notwendig. Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) ausgerichtete Wissenschaftsjahr Bioökonomie rückt das Thema ins Rampenlicht. Die Bioökonomie ist das Leitthema der Universität Hohenheim in Forschung und Lehre. Sie verbindet die agrarwissenschaftliche, die naturwissenschaftliche sowie die wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Fakultät. Im Wissenschaftsjahr Bioökonomie informiert die Universität Hohenheim in zahlreichen Veranstaltungen Fachwelt und Öffentlichkeit zum Thema (Foto: pixabay.com).