Sonntag, 13. Oktober 2024

Studie: Was treibt die Lebensmittelindustrie zu Innovationen an?

Quakenbrück / Gauting. (ots) Was treibt die deutsche Lebensmittelindustrie zu Innovationen an? Sind es Verbraucherwünsche, Nachhaltigkeitsgedanken oder schlichtweg der Gesetzgeber? Welche technologischen Prozesse werden in den nächsten Jahren für Food-Innovationen eine Rolle spielen? Wie werden diese finanziert und wie schätzen die Hersteller von Lebensmitteln die Kommunikation von Innovationen ein? Zum ersten Mal haben das DIL – Deutsches Institut für Lebensmitteltechnik e.V. und die Kommunikationsberatung Engel + Zimmermann die Innovationstätigkeiten deutscher Lebensmittelhersteller untersucht und im 1. Deutschen Innovationsreport Food zusammengefasst.

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Die Studie zeigt: Der deutschen Lebensmittelwirtschaft muss um ihre Innovationsfähigkeit nicht bange sein. Sie treibt Innovationen voran – zunehmend auch unter Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten – und bietet damit auch Lösungen für die gesellschaftlichen Herausforderungen dieses Jahrhunderts an. Gegenstand der Befragung war auch, ob die Unternehmen bei ihren Innovationen mit Forschungseinrichtungen zusammenarbeiten und ob sie Fördergelder beziehen. In einem eigenen Teil der Studie beschäftigten sich DIL und E+Z mit Fragen der Kommunikation von Innovationen. Eine Erkenntnis hier: Die Hersteller setzen auf ein breites Spektrum an Kommunikationsmaßnahmen für ihre wichtigsten Zielgruppen. Die Angst vor kritischen Stimmen, zum Beispiel durch Verbraucherschützer, schwingt aber immer mit. Außerdem wird Corona die Anforderungen an die Kommunikation verändern.

Zwei grundsätzliche Arten von Innovationen wurden im 1. Deutschen Innovationsreport Food untersucht: Produkte und Prozesse. Im Bereich Produkte gab eine deutliche Mehrheit von 80 Prozent der teilnehmenden Unternehmen an, zwischen 2017 und 2019 eine Neuheit eingeführt zu haben. Ob und welche gesundheitlichen Aspekte bei der Einführung von Produktinnovationen eine Rolle spielten, wurde ebenfalls ermittelt. Das Ergebnis: Bei mehr als einem Viertel der Innovationen (27 Prozent) bestand der gesundheitliche Nutzen darin, dass das Produkt beim Abnehmen hilft. Bei 16 Prozent war die Unterstützung des Muskelaufbaus der gesundheitliche Mehrwert, der in der Innovation lag. «Damit greifen die Lebensmittelhersteller neben dem anhaltenden Fitnesstrend ein Thema auf, das von großer gesamtgesellschaftlicher Relevanz ist: Übergewicht und damit verbunden Diabetes», bilanziert Dr. Volker Heinz, CEO des DIL. Eher untergeordnet sind andere gesundheitliche Aspekte wie die Versorgung mit Vitaminen (7 Prozent) oder die Stärkung des Immunsystems (10 Prozent).

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Innovationen tragen zum Umweltschutz bei

Positive Umweltwirkungen von Innovationen, ein weiterer Bestandteil der Befragung, können sich auf zwei Arten bemerkbar machen: entweder für den Verbraucher oder für das produzierende Unternehmen. Fast die Hälfte der Produktinnovationen (48 Prozent) zeichnet sich durch eine längere Haltbarkeit aus. «Die Lebensmittelhersteller leisten somit einen aktiven und signifikanten Beitrag zur Reduzierung von Lebensmittelabfällen», sagt Dr. Volker Heinz.

Innovationen in neuartige Prozesse tätigte die Hälfte der teilnehmenden Unternehmen (53 Prozent) in den vergangenen drei Jahren. In diesem Bereich spielten Umweltwirkungen die größte Rolle: 79 Prozent der Innovatoren gaben an, dass ihre Prozessinnovationen einen Beitrag zur CO2-Reduktion im Unternehmen leiste (s. Grafik 1). Vor dem Hintergrund des Green Deal der Europäischen Union und den von der Politik angestrebten Zielen zur Emissionsreduzierung zeigt dies, dass die Lebensmittelbranche auch hier an einem gesellschaftspolitisch höchst relevanten Thema arbeitet und ihrer Verantwortung für den Klimaschutz nachkommt. Ebenfalls 79 Prozent nannten die Verringerung des Energieverbrauchs als positive Umweltwirkung ihrer Innovation. Eine große Rolle spielt auch die Verringerung des Material- und Wasserverbrauchs (71 Prozent).

Im Zusammenhang mit dem Nutzen für die Umwelt verfolgen die Lebensmittelhersteller auch ganz eigene Interessen. So gaben 80 Prozent an, dass die Einführung von Umweltinnovationen zur Verbesserung der Reputation ihres Unternehmens diente. 75 Prozent nannten die Erfüllung bestehender, 72 Prozent die Erwartung künftiger gesetzlicher Vorgaben als Grund. Dass Nachhaltigkeit immer auch eine ökonomische Komponente beinhaltet, zeigt sich darin, dass 72 Prozent die steigenden Kosten für Energie oder andere Rohstoffe als Motivation nannten, in Umweltinnovationen zu investieren.

Industrie 4.0 ist das Top-Thema bei Prozessinnovationen

Bei der konkreten Nachfrage, welche Prozesstechnologien in Zukunft an Bedeutung gewinnen, wurde mit großem Abstand am häufigsten die Produktion individuell angepasster Produkte mithilfe prozessübergreifender IT-Maßnahmen genannt (66 Prozent). Die Ernährungsindustrie muss im internationalen und nationalen Wettbewerb Produkte und Prozesse in immer kürzeren Zyklen optimieren und Kosten senken. Die Digitalisierung und eine intelligente Vernetzung von horizontalen wie vertikalen Wertschöpfungsprozessen – kurz: Industrie 4.0 – haben das Potenzial, die Transparenz, Planungssicherheit, Qualität und Kundenorientierung in der Lebensmittelherstellung weiter zu verbessern. Die hohe Bedeutung des aseptischen Abfüllens (34 Prozent) spiegelt das Dauer-Thema der Lebensmittelsicherheit, aber auch den neuen Trend des Clean Eating wider: «Der Trend zu naturbelassenen Lebensmitteln führt dazu, dass die Hersteller bei der Produktion besonders hohe hygienische Standards einhalten müssen, wenn sie auf den Einsatz von Konservierungsmitteln und hohen Temperaturen bei der Haltbarmachung verzichten wollen», sagt Dr. Volker Heinz.

Wenig Kooperation, kaum staatliche Förderung: Unternehmen verschenken Potenzial

85 Prozent der im Innovationsreport Food berücksichtigten Innovationen wurden im Unternehmen selbst entwickelt, 41 Prozent im Unternehmen zusammen mit einem anderen Unternehmen. Lediglich in 14 Prozent der Fälle arbeiteten die Unternehmen mit Forschungseinrichtungen zusammen. Dass nur 3 Prozent der Innovationen in Eigenregie von Forschungseinrichtungen eingeführt wurden, sieht Heinz als Indiz dafür, dass Einrichtungen wie das DIL nicht nur im Elfenbeinturm forschen, sondern in ihrer Entwicklungsarbeit eng mit der Wirtschaft verzahnt sind. Forschungseinrichtungen können Unternehmen außerdem dabei helfen, Fördergelder für ihre Innovationen zu beantragen. Dass hier viele Unternehmen noch Potenzial verschenken, zeigt sich darin, dass mehr als zwei Drittel der Unternehmen angaben, für ihre Innovationsaktivitäten keine Fördergelder von öffentlichen nationalen oder internationalen Einrichtungen bezogen zu haben (69 Prozent).

Kommunikation von Innovationen: anspruchsvoll, aber wichtig

Ein weiterer großer Teilbereich des Deutschen Innovationsreports Food 2020 beschäftigt sich mit der Kommunikation von Innovationen. Ein völlig heterogenes Bild zeigte sich bei der Frage, wie herausfordernd die Lebensmittelhersteller die Kommunikation bestimmter Innovationsarten einschätzen. Fast zwei Drittel (62 Prozent) sehen es als (sehr) herausfordernd an, die Verwendung neuer Technologien in der Herstellung zu kommunizieren. Das kann daran liegen, dass solche Innovationen für die beiden wichtigsten Zielgruppen – den Handel und dem Verbraucher – keine Rolle spielen. Anders sieht es bei Innovationen aus, die direkt beim Endverbraucher ankommen: Mehr als zwei Drittel der Befragten sehen es als überwiegend leicht an, Verbesserungen bei der Verpackung (66 Prozent) oder eine Reduktion bestimmter Zutaten (70 Prozent) zu kommunizieren. Dahingegen nehmen nachhaltige (umweltfreundliche) Verpackungen (69 Prozent) und Fortschritte beim Tierwohl (54 Prozent) Spitzenplätze bei den eher leicht zu kommunizierenden Themen ein. «Ungeachtet dessen bleibt die Kommunikation von Nachhaltigkeitsinnovationen herausfordernd», sagt Frank Schroedter, Vorstand und Partner von Engel + Zimmermann. «Das liegt vor allem an der Fallhöhe: Wer sich und seine Produkte als nachhaltig positioniert, muss sich auch der kommunikativen Risiken bewusst sein, die möglicherweise andere Bereiche des Unternehmens mit sich bringen. Auch die Gefahr des Greenwashings schwingt schnell mit, wenn die Kommunikation nicht stimmig ist.»

Sorge vor kritischen Verbraucherschützern bei Produktversprechen

Die grundsätzlich optimistische Haltung bei der Kommunikation von Innovationen wird etwas getrübt, wenn kritische Gegenstimmen ins Spiel kommen. Befragt danach, wie kritisch sie die Kommunikation von Produktversprechen speziell vor dem Hintergrund von Verbraucherschützern oder NGOs sehen, äußern viele Hersteller Bedenken. So sieht es mehr als ein Drittel der Befragten (36 Prozent) eher kritisch oder sehr kritisch, die Reduktion von Zucker zu kommunizieren. Etwas überraschend ist, dass die Aussagen «Ohne Geschmacksverstärker» und «Ohne Zusatzstoffe», die von Verbraucherschützern besonders häufig kritisiert werden, überwiegend als unkritisch zu kommunizieren erachtet werden. Sie werden nur von (Bio- oder Fairtrade)-Siegeln und der Aussage «Vegan» übertroffen, die als am unkritischsten angesehen werden. Unterm Strich scheint der Optimismus zu überwiegen: Selbst bei der kritischsten Aussage («Weniger Zucker») findet sich eine Mehrheit, die das Produktversprechen insgesamt unkritisch empfindet (48 Prozent vs. 36 Prozent).

Die Sorge vor kritischen Verbraucherschützern ist nicht das einzige Hindernis, das die Hersteller von Lebensmitteln bei der Kommunikation sehen: Als mindestens ebenso kritisch erachten sie, dass ihre Innovation nicht auf Interesse beim Endverbraucher stößt (51 Prozent) oder dass die Innovation aufgrund ihrer technologischen Komplexität schwer zu kommunizieren ist (48 Prozent). «Die Hindernisse sind vielfältig und zeigen, dass Kommunikation immer auf alle Zielgruppen ausgerichtet sein muss», fasst Frank Schroedter zusammen.

Zum Abschluss des Kommunikationsparts wollten DIL und E+Z wissen, welche Kommunikationsmaßnahmen die Lebensmittelhersteller für die Kommunikation ihrer Innovationen wählen. Die häufigsten Antworten sind Messen (64 Prozent), Social-Media-Kampagnen (63 Prozent), produktbezogene Pressearbeit (57 Prozent) und klassische Anzeigen (55 Prozent). «Durch die Corona-Pandemie und die Absage nahezu aller Messen dürften sich die Schwerpunkte in den kommenden Monaten jedoch deutlich verschieben und Online-PR mehr an Bedeutung gewinnen», sagt Schroedter.

Über den Deutschen Innovationsreport Food

Im Zeitraum von Juni bis September 2020 nahmen 91 Befragte an der Untersuchung von DIL und Engel + Zimmermann teil. Angefragt waren Entscheider in deutschen Unternehmen, die Lebensmittel herstellen (durchschnittlicher Umsatz: 379 Mio. Euro). Die Befragung wurde in Form eines Online-Fragebogens anonym durchgeführt und bestand aus vier Teilen: zur allgemeinen Innovationstätigkeit in Produkten sowie Prozessen, zur Kommunikation und zur Finanzierung von Innovationen. Der vollständige 1. Deutsche Innovationsreport Food 2020 steht zum Download bereit unter innovationsreport-food.de. Ziel ist eine Wiederauflage des Innovationsreports in den kommenden Jahren.

Über das DIL Deutsches Institut für Lebensmitteltechnik

Das DIL Deutsches Institut für Lebensmitteltechnik e. V. ist ein außeruniversitäres Forschungsinstitut der Lebensmittelwissenschaften in Deutschland. In den letzten drei Jahrzenten hat sich in Quakenbrück ein international tätiges Institut mit rund 200 Experten der Lebensmitteltechnologie und den Lebensmittelwissenschaften entwickelt. Das DIL operiert als Forschungsinstitut in den Bereichen Lebensmittelsicherheit und Authentizität, Struktur und Verfahrenstechnik sowie Nachhaltigkeit.

Über Engel + Zimmermann

Als inhabergeführte Unternehmensberatung für Kommunikation berät und betreut Engel + Zimmermann dauerhaft rund 60 Kunden, darunter namhafte börsennotierte Gesellschaften und mittelständische Unternehmen sowie Verbände und (halb-)öffentliche Auftraggeber auf Bundes- und Landesebene. Ein Schwerpunkt liegt auf der Beratung von Unternehmen aus der Lebensmittelbranche. Das Spektrum umfasst Unternehmenskommunikation, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, die strategische Beratung in den Bereichen Krisen-, Wirtschafts-, Finanz-, und Markenkommunikation sowie Public Affairs, Verbands- und Projektkommunikation (Foto: pixabay.com – Grafik: obs – DIL Deutsches Institut für Lebensmitteltechnik).