Bremerhaven. (usp) Vor etwa einem Monat konnten Sie an dieser Stelle eine Frage lesen, an die Sie sich vielleicht noch erinnern: «Was ist, wenn der digitale Kassenbon plötzlich von unerwarteter Seite aus massentauglich wird? Wenn Ihre Kunden, mit denen Sie gestern noch einträchtig über die Belegausgabepflicht schimpften, Ihr Geschäft plötzlich nicht mehr ohne digitalen Zahlungsbeleg verlassen wollen? Sind Sie darauf vorbereitet? Dafür benötigen Ihre Kunden nämlich nur einen attraktiven Nutzwert, den sie «so» bislang noch nicht hatten und dem es im Handumdrehen gelingt, halb Deutschland zu überzeugen.»
Den Wert von Hier und Jetzt sorgfältig prüfen
Es ist logisch, dass sich die entscheidende Dynamik nicht aus dem produzierenden Gewerbe oder dem Einzelhandel heraus entwickeln würde. Beide wiederholten – und wiederholen weiterhin – gerne das Argument, nach dem nur drei bis fünf Prozent der Kunden «wirklich» einen Zahlungsbeleg bräuchten. Diese Einschätzung würde nicht so oft genannt, stünden dahinter nicht viele Jahrzehnte Erfahrung. Es werden sogar Statistiken geführt, wie oft sich Ökobons, Bisphenol-freie und andere Kassenzettel per Anno rund um den Globus wickeln lassen. Eines haben alle diese Schätzungen und Statistiken gemeinsam: Sie gehen davon aus, dass der Kassenzettel auch angesichts der Belegausgabepflicht weiter nur Kassenzettel bleibt – egal ob auf Papier gedruckt oder digital als PDF an die E-Mail-Adresse oder per QR-Code auf das Smartphone gesandt.
Nie war der Kassenbon moderner und vielseitiger
So achtlos wir alle den Kassenzettel in der Vergangenheit entsorgten, so stolz war und ist seine gut 200-jährige Geschichte. Er wird auch künftig kaum wegzudenken sein aus unserem Alltag und ist seit geraumer Zeit auf der Suche nach einem sinnvollen Platz in der digitalen Zukunft. Der Kassenbon wird diesen Platz auch bekommen und uns künftig mit einem Mehrwert begegnen, den wir «so» noch nicht kannten. Nie war der Zahlungsbeleg moderner, flexibler und vielseitiger, als es die jüngsten Entwicklungen andeuten.
Nicht 5 Prozent, sondern 95 Prozent bestimmen den Trend
Seitdem die Belegausgabepflicht Druck ausübt auf die Schnittstelle zwischen Handel und Verbraucher, ist die anfängliche Ratlosigkeit bis Frustration sehr schnell einer kreativen Dynamik gewichen, die zu erstaunlichen Szenen führt beim Bezahlen an der Kasse. Die anfängliche Verunsicherung gipfelte darin, dass man Kunden gar nicht erst den Kassenzettel aushändigte, sondern gleich in die daneben stehende Tonne warf. Wenige Tage später hat sich die Situation entspannt und sowohl Kunden als auch Kassierer fachsimpeln über die ersten Kassenbon-Apps. Lässt man sich auf die Gespräche ein, wird ziemlich schnell klar: So glaubwürdig, wie Deutschlands Einzelhandel seine Erfahrungswerte darlegt – nach denen nur drei bis fünf Prozent der Kunden «wirklich» einen Zahlungsbeleg benötigen – so wenig hatte und hat er die Bedürfnisse und Bedarfe der «restlichen 95 bis 97 Prozent» auf dem Schirm. Denen ist diese Verteidigungslinie nämlich völlig egal – weil sie über den Zahlungsbeleg neuerdings an Vorteile gelangen, die sich ihnen «so» bislang nicht boten.
Deutschland auf dem Technologie-Sprung?
Die ersten, auf Verbraucher fokussierten Entwicklungen wurden pünktlich zum Jahreswechsel veröffentlicht. Überraschend ist schon jetzt die sich abzeichnende Vielfalt. Erst einen Monat, nachdem Interessenten an dieser Stelle nachlesen konnten, dass ein Technologie-Sprung selbst in Deutschland möglich wäre, sind Herr und Frau Deutschländer plötzlich dabei, ihr Bezahlverhalten zu ändern – wo immer das schon geht. Blitzschnell. Weil alles andere unvernünftig, unbequem und ein Technologie-Bruch wäre – und weil die neuen Apps mit einem Mehrwert aufwarten, den wir uns – noch dazu kostenfrei – «so» als Konsumenten gerne gefallen lassen.
Der digitale Kassenbon: theoretischer Überbau und Crashkurs
In Phasen der Modernisierung ist eine gewisse Trauer über den Verlust alter Gewohnheiten seitens des Einzelhandels nur zu verständlich. Dann muss aber auch gut sein, denn: Es macht keinen Sinn, bereits weggeschwommene Felle weiter verteidigen zu wollen. Dieser Kampf lässt sich nicht gewinnen. Zumindest nicht bis zur Evaluierung der Kassensicherungsverordnung (KassenSichV) in etwa zwei Jahren. Bis dahin haben Unternehmen die Möglichkeit, sich bei ihren regionalen Finanzbehörden von der Belegausgabepflicht befreien zu lassen. Zitat aus der zur KassenSichV gehörenden Drucksache 487/17 des Bundesrats (PDF):
«Weiterhin ist in Paragraf 146a Absatz 2 Satz 2 AO eine Ausnahme von der Belegausgabeverpflichtung vorgesehen, wonach bei Verkauf von Waren an eine Vielzahl von nicht bekannten Personen die Finanzbehörden nach Paragraf 148 AO aus Zumutbarkeitsgründen nach pflichtgemäßem Ermessen von einer Belegausgabepflicht befreien können. Es wird angenommen, dass in 25 Prozent der Fälle die Finanzbehörden nach Paragraf 148 AO aus Zumutbarkeitsgründen nach pflichtgemäßem Ermessen von einer Belegausgabepflicht Befreiungen erteilen werden.»
Gleichzeitig hakt es in Deutschland 2020 immer noch, man mag es kaum sagen, an einer flächendeckenden, ausreichend leistungsfähigen Internetverbindung. Kurzum: Neben dem Grund des «Verkaufs von Waren an eine Vielzahl von nicht bekannten Personen» sollte auch dieser Umstand Berücksichtigung finden beim Abwägen der Behörden, ob sie Befreiungen erteilen oder nicht.
Für viele andere Regionen hingegen gilt: Zeit ist kostbar, die Zukunft hat begonnen. Deshalb werden wir hier auch nicht jede einzelne Applikation aufzählen, die es in Deutschland und Europa schon gibt. Der künftige Kassenbon-App-Markt wird ein heiß umkämpfter Markt sein. Handel und Konsumenten werden noch ausreichend Gelegenheit haben, die Funktionsweise dieser und jener App zu studieren. Für Kollegen und Kolleginnen, die sich noch nicht damit befasst haben, hat der WebBaecker daher eine Vorauswahl getroffen und diese konsequent gefiltert nach dem Gesichtspunkt des übersichtlichen Einstiegs.
Alles in Ordnung in Ordnern – und immer mit-teilbar
Die «adminApp» bietet viele leicht verständliche Basis-Informationen. Mit Blick auf den «giftigen, Bisphenol-A-haltigen Kassenzettel» sind die zwar falsch. Um so mehr verstehen die Entwickler jedoch von den Hintergründen und der Technik, die zum digitalen Kassenbon führen. Die Entwickler haben ihren Sitz zwar in Bremen, doch unterhält der WebBaecker, ansässig in Bremerhaven, keine wie auch immer geartete Geschäftsbeziehung zur A+G GmbH, die hinter der App steht. Wir kennen uns nicht. Unser Tipp: Folgende drei Link-Empfehlungen, alle der A+G GmbH zuzuordnen, geben Gelegenheit, sich umfassend ins Thema einzulesen:
(1) kassenbons-digitalisieren.de – (2) digitale-kassenzettel.de – (3) mein-kassenzettel.de.
Für Schnäppchenjäger: Cashback in einer neuen Dimension
Neben der «adminApp» aus Bremen für das grundlegende Verständnis und den vielfältigen Möglichkeiten der Nahfeldkommunikation (siehe Text weiter unten) für die Technik wird uns künftig vor allem die Dynamik aus der Schnäppchenjäger-Szene beschäftigen. Kassenbon-Apps wie reebate aus Ludwigshafen oder wunderbon aus Düsseldorf interessiert weniger irgendeine Branche, als vielmehr der Bezahlvorgang an sich. Damit das Sammeln von Coupons und das Einstreichen von Rabatten für Kunden möglichst reibungslos und bequem erfolgt, scannen die Apps nicht nur QR-Codes oder lesen Kassenbons per E-Mail ein, sondern akzeptieren auch Ökobons, die an der Kasse mal eben kurz (ordentlich!) abfotografiert werden.
Reebate unterstützt schon jetzt Deutschlands beliebteste Supermarkt- und Drogerieketten – auch regional. Die aktuelle Liste der bereits unterstützten Händler liest sich wie das WhoisWho des bundesdeutschen Handels.
Wunderbon versteht sich nicht direkt als Schnäppchenjäger im Dienste des Kunden, sondern als Platform as a Service (PaaS). Also eine Dienstleistung in der Erzeuger-Händler-Konsumenten-Beziehung, die in der Cloud eine Computer- Plattform für Entwickler von Webanwendungen zur Verfügung stellt. Dabei kann es sich sowohl um schnell einsetzbare Laufzeitumgebungen (typischerweise für Webanwendungen), aber auch um Entwicklungsumgebungen handeln, die mit geringem administrativem Aufwand und ohne Anschaffung der darunterliegenden Hardware und Software genutzt werden können.
Die adminApp stellt einfach nur ein kleines Gerät neben die Kasse und stöpselt es in die nächste Steckdose ein. Mehr braucht der Händler nicht zu tun. Man kann sich die Situation vorstellen wie bei den bekannten Kartenlesegeräten. Also wahrscheinlich eine Stand-Alone-Lösung, die gebrauchsfertig auf jede Betriebsgröße passt. Die bremische A+G GmbH wirbt auch nicht mit irgendwelchen Rabatten oder Coupons, sondern setzt auf einen attraktiven Nutzwert abseits der Schnäppchenjäger-Szene.
Das Übertragungsprotokoll: Dynamischer Fortschritt dank NFC
Laut Wikipedia ist die Nahfeldkommunikation oder neudeutsch «Near Field Communication» (NFC) ein auf der RFID-Technik basierender internationaler Übertragungsstandard zum kontaktlosen Austausch von Daten per elektromagnetischer Induktion mittels loser gekoppelter Spulen über kurze Strecken von wenigen Zentimetern und einer Datenübertragungsrate von maximal 424 KiloBit pro Sekunde».
NFC kann mit aktiven Geräten als Zugriffsschlüssel an Terminals auf Inhalte und für Dienste verwendet werden, wie zum Beispiel im Zahlungsverkehr (Girogo, Paypass, Visa payWave, Apple Pay, Google Pay und andere), bei der Abrechnung von Tickets im öffentlichen Nahverkehr oder zum Beispiel bei Smart Postern in der Außenwerbung, bei denen ein QR-Code dazu auffordert, nähere Informationen einzuholen. Selbst Mobilgeräte als Autoschlüssel gibt es bereits schon. Es spricht alles dafür, dass sich NFC bei der Übermittlung von digitalen Zahlungsbelegen im Handel als Übertragungsprotokoll durchsetzen wird oder schon durchgesetzt hat. Auch Kassenbon-Apps bedienen sich der Nahfeldkommunikation mittels NFC.
Fazit: Sägen Sie nicht am Ast, auf dem Sie sitzen
Manchmal ist es nicht einfach, den inneren Kompass geringfügig neu auszurichten. Vor allem dann nicht, wenn die Hälfte der Antworten noch in der Zukunft liegt. Die «Digitalpolitik» in diesem Land hat schon viel versäumt. Das ist mit ein Grund, weshalb Deutschland gerade ein Mentalitätsproblem hat. Allerdings muss man auch erkennen, dass dieses Problem je nach Generation (und Internet-Verbindungsqualität …) unterschiedlich schwach bis stark ausgeprägt ist. Hören Sie auf Ihre unternehmerische Intuition. Machen Sie sich mit dem Gedanken vertraut, dass der «Zug» nicht mehr aufzuhalten ist. Spätestens in zwei bis drei Jahren wird die Hälfte Ihrer Kunden bargeldlos bezahlen und ebenso digital den Kassenbon archivieren wollen. Wenn die Leute das bei Ihnen dann nicht können, machen sie es eben woanders (Foto: pixabay.com).
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