Köln / Lübeck. (fr) Die Anuga 2019 hatte viele interessante Facetten und war daher auch Plattform für den zweiten Innovationsgipfel Newtrition X., der sich exklusiv mit dem Thema Personalisierte Ernährung befasste. Knapp 100 Gäste aus 22 Ländern waren der Einladung des Veranstalters FoodRegio gefolgt, um sich über neue wissenschaftliche Erkenntnisse und digitale Lösungen zu informieren und mit Vordenkern der Branche zu diskutieren.
In seiner Funktion als Vorsitzender der Fokusgruppe Personalisierte Ernährung bei FoodRegio richtete Michael Gusko zu Beginn des Summits klare Worte an die Lebensmittelindustrie und forderte mehr Mut und Pioniergeist. Dass 73 Prozent der Deutschen nicht mehr an allgemeingültige Ernährungsempfehlungen glauben, sei bekannt – ebenso die Vorteile der Personalisierten Ernährung. «Wir wollen nicht die ersten sein, aber auch nicht die letzten, ist jedoch aktuell der Tenor in der Industrie», sagte Gusko, Managing Director von GoodMills Innovation.
Prof. Dr. Christian Sina, Ernährungsmediziner an der Universität zu Lübeck, und Prof. Ahmed El-Sohemy, Inhaber des Lehrstuhls für Nutrigenomik an der Universität von Toronto, informierten in ihren Vorträgen über den wissenschaftlichen Status Quo der personalisierten Ernährung. Laut Christian Sina belege eine Studie mit eineiigen Zwillingen eindrucksvoll, dass diese abhängig von ihrem Mikrobiom völlig unterschiedliche Blutzuckerantworten auf die gleichen Lebensmittel – und damit auch verschiedene Gewichtsentwicklungen – zeigten. Ziel sei deshalb eine stratifizierte Ernährung, die diese Unterschiede in Cluster zusammenfasst und mit einer typengerechten Ernährung ausgleichen könne. Ahmed El-Sohemy erläuterte den Einfluss der Gene – nicht nur auf die Art, wie ein Mensch Lebensmittel verstoffwechseln könne. «Unsere Gene bestimmen auch, welche Nahrungsmittel wir wählen», erklärte der Forscher am Beispiel des Gens TAS1R2, das je nach Variante dafür sorgt, dass Menschen ein höheres Verlangen nach Zucker haben. DNA-basierte Ernährungsempfehlungen seien ein kraftvolles Werkzeug, um die Menschen nachhaltig gesund zu erhalten.
Neue Technologien machen Personalisierung möglich
André Boorsma, Senior Researcher beim Innovationsnetzwerk TNO, stellte das Konzept einer digitalen Plattform für evidenzbasierte personalisierte Ernährungsempfehlungen vor: Grundlage sei die Datenerfassung von Gesundheitsstatus, genetischen Faktoren, Verhalten und Persönlichkeit. Diese Daten würden dann in einem «digital knowledge hub» zusammengeführt und zu Empfehlungen verarbeitet, die in einem dritten Schritt mithilfe von Trackingtechnologien, Apps, Hausgeräten, Lebensmittelhandel und Ernährungsexperten umgesetzt werden könnten. Roland Napierala von Miele SmartHome und Michael Haase von PlantJammer präsentierten ihre Zusammenarbeit als Beispiel für ein digital vernetztes, personalisiertes Konzept. Die App PlantJammer ermögliche es ihren Nutzern, Rezepte nach Vorlieben in Geschmack und Textur und dem Inhalt des Kühlschranks zu wählen und diese mit Ernährungszielen zu kombinieren. Ihre Vision: Die gesamte Lieferkette zu verbinden – intelligente Kühlschränke und Küchengeräte, personalisierte Koch- und Ernährungsberatung und den Handel.
Personalisierte Ernährung als Dienstleistung und Kundenbindungsinstrument
Ein weiteres Beispiel präsentierte Ignace de Nollin von SmartwithFood, einem App-Anbieter der größten belgischen Einzelhandelsgruppe. Verbraucher seien heute verunsichert über gesunde Ernährung und Inhaltsstoffe – hier sei es am Handel, sich als Dienstleister am Kunden und Kompass zu verstehen, zu informieren und personalisiert zu beraten. Nick Holzherr, CEO des Softwareanbieters Whisk bei Samsung NEXT, will mit seinen Lösungen nahtlose und personalisierte Einkaufserlebnisse bieten. Er sieht jetzt die Zeit gekommen für personalisierte Ernährung auf Basis digitaler Services und rät Unternehmen: «Wenn Sie schon einmal eine App hatten und sie ist gescheitert, dann versuchen Sie es jetzt noch einmal.» Das sieht auch Dominik Burziwoda so, CEO und Gründer von Perfood, Anbieter des personalisierten Ernährungsprogramms MillionFriends. Denn im heiß umkämpften Ernährungsmarkt sei die personalisierte Ernährung ein wirksames Mittel, um den Customer Lifetime Value, die langfristige Kundenbindung, zu erhöhen. «Personalisierung ist nicht nur gesund, sie macht loyal.» Zum Abschluss warf Dr. Simone K. Frey von Nutrition Hub einen Blick auf den Verbraucher – für diesen sei Ernährung und Gesundheit wichtig wie nie zuvor, doch gleichzeitig wachse in Zeiten von Social Media und Dr. Google die Verunsicherung, was vertrauenswürdige Quellen seien und welche nicht.
Ausblick: Newtrition X. 2020
Auch im kommenden Jahr wird Newtrition X. Plattform und Inspirationsquelle rund um die Personalisierte Ernährung sein. Als zweitägige Veranstaltung wird der Summit am 16. und 17. September in Lübeck durch Workshops und Diskussionsrunden ergänzt. Dazu sagt Prof. Björn P. Jacobsen von FoodRegio: «Unser Ziel ist, die Veranstaltung als Kompass in einer Branche zu etablieren, die aktuell nicht nur im Wandel ist, sondern eine regelrechte Revolution erlebt. Der Verbraucher nimmt seine Ernährung selbst in die Hand – und er gibt sich längst nicht mehr mit «one size fits all» zufrieden. Hier muss die Lebensmittelindustrie handeln, um den Zug nicht zu verpassen» (Foto: pixabay.com).
WEITERE THEMEN AUS DIESER RUBRIK FÜR SIE:
- BrotWert: Projekt gegen Lebensmittelverschwendung
- Ernährungsreport 2024: Deutschland, wie es isst
- BZfE passt Ernährungspyramide an
- Biotechnologie: «Unsere Zellen sind echter Fisch»
- Finnland: Über den Brotbelag als Ausdruck der Befindlichkeit
- Uniferm: Fermentation und Frische stehen im Fokus auf der Südback
- Agrarprodukte: Obst und Gemüse verteuern sich weiter
- Too Good To Go: liefert jetzt auch bis an die Haustür
- Lavash, Naan + Co.: Backen Sie doch mal Weltkulturerbe
- Jetzt im Handel: «Gutes aus deutscher Landwirtschaft»
- Forschungsprojekt: Alte Getreide-Landsorten lohnen sich
- Holunderbeeren: Wertvolle Inhaltsstoffe vom Wegesrand
- Fermentieren für Anfänger: Salzmöhren mit Chili
- Produktion von alkoholfreiem Bier mehr als verdoppelt
- BMEL: Der Trend zu Öko setzt sich auf schwächerem Niveau fort
- Trotz gegenteiligem Rat: Ampel verabschiedet Agrarpaket
- Lebensmittelverband: begrüßt Ausbau von lebensmittelwarnung.de
- NRI: Bemühungen der Lebensmittelwirtschaft könnten besser sein
- BMEL: Rechtsgutachten zur Vermeidung von Lebensmittelabfällen
- DGE: veröffentlicht neue Position zu veganer Ernährung