Berlin. (bll) Nach intensiver Diskussion quer durch die Gesellschaft hatte das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) im September 2019 bekanntgegeben, dass der Nutri-Score als vereinfachte erweiterte Nährwertkennzeichnung in Deutschland eingeführt wird. Vorausgegangen war eine umfassende, wissenschaftlich fundierte sowie unabhängige Verbraucherforschung im Auftrag des Ministeriums.
Wer denkt, die Diskussion sei hiermit beendet und der Beschluss zur Nährwertkennzeichnung würde allseits akzeptiert, könnte sich täuschen, denn: Der Lebensmittelverband Deutschland – ehemals BLL – möchte die Entwicklung des Nutri-Score als freiwilliges Nährwertkennzeichnungsmodell konstruktiv begleiten. Die Berechnungsgrundlage des Systems sollte jedoch hinsichtlich tatsächlicher Ernährungsgewohnheiten der Verbraucher:innen sowie allgemeiner Ernährungsempfehlungen von Fachgesellschaften angepasst werden. Das sei eine notwendige Voraussetzung für das von Bundesministerin Julia Klöckner angestrebte Ziel, «die gesunde Wahl zur einfachen Wahl» zu machen. Das gelte auch deshalb, weil die Nutri-Score-Bewertungsgrundlagen für die Verbraucher:innen über das Etikett nicht nachvollziehbar seien, wie die repräsentative Verbraucherumfrage vom Institut für Demoskopie Allensbach deutlich gemacht hat.
Der Nutri-Score soll einen positiven Beitrag für die Übergewichtsprävention und -entwicklung leisten. Diesem Versprechen muss das System gerecht werden, weshalb die aktuell bestehenden Widersprüche zum Wohle und Schutz von Kunden und Unternehmen aufgelöst werden müssen. Der Lebensmittelverband Deutschland hat deshalb mit Blick auf ernährungswissenschaftliche, rechtliche und gesundheitspolitische Aspekte notwendige Rahmenbedingungen für die erfolgreiche Einführung des Nutri-Score formuliert:
- Nutri-Score soll ein europäisches System werden
- Nutri-Score muss rechtssicher sein
- Nutri-Score muss marken- und kartellrechtlich geprüft werden
- Gewährleistung der Freiwilligkeit
- Auflösung der Widersprüche zu allgemeinen Ernährungsempfehlungen
- Berücksichtigung der Nationalen Reduktions- und Innovationsstrategie
- Berücksichtigung der Verzehrmengen
- Konsistenz mit europäischen Vorgaben schaffen
- Überprüfung der Auswirkungen auf den Gesundheitsstatus der Bevölkerung
- Verwendung anderer erweiterter Nährwertkennzeichnungsmodelle
Die Forderungen stellt der Verband auch vor dem Hintergrund der Ergebnisse einer repräsentativen Verbraucherbefragung durch das Institut für Demoskopie Allensbach auf, bei der insgesamt 2.517 Teilnehmer:innen im Zeitraum von August bis September 2019 zu den vier Nährwertkennzeichnungsmodellen britische Lebensmittelampel, «Wegweiser Ernährung» des Max Rubner-Instituts (MRI), französischer Nutri-Score und Wirtschaftsmodell des Lebensmittelverbands interviewt wurden.
Während die Modelle des Lebensmittelverbandes, des MRI und die britische Ampel in der Einschätzung der Verbraucher in puncto Informationsleistung, Nachvollziehbarkeit und Verständnis der Kernaussagen in etwa ähnlich abschnitten, empfanden die Verbraucher:innen den Nutri-Score als zu informationsarm: Auf die Frage «Wie verständlich finden Sie diese Kennzeichnung ganz generell?» urteilten bei den drei erstgenannten über 70 Prozent positiv («gut» oder «einigermaßen verständlich» beim Modell des Lebensmittelverbands 74 Prozent, beim MRI-Modell sowie der Ampel je 73 Prozent), beim Nutri-Score aber nur 33 Prozent aller Befragten. Es fühlten sich durch die jeweilige Kennzeichnung nur 20 Prozent beim Nutri-Score «sehr gut» oder «gut» informiert, beim Modell des Lebensmittelverbands sagten das aber 48 Prozent aller Befragten, beim MRI-Modell 44 Prozent. Am besten schnitt hier die Ampel mit 51 Prozent ab. Auf die Frage «Finden Sie es als Verbraucher alles in allem nachvollziehbar, welche Eigenschaften des Produktes in diese Kennzeichnung mit einfließen?» antworteten 66 Prozent der Befragten bei der Ampel wie auch beim MRI-Modell, dass sie dies alles in allem oder mindestens teilweise nachvollziehen können, beim Modell des Lebensmittelverbands 64 Prozent – beim Nutri-Score aber nur 26 Prozent.
Dass der Nutri-Score dennoch vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) als zusätzlich zur verpflichtenden Nährwerttabelle freiwilliges Kennzeichnungssystem empfohlen wird, liegt in der unterschiedlichen Ausrichtung der Befragungen von Allensbach und der Info GmbH, die die Verbraucherbefragung für das BMEL durchgeführt haben, begründet. Die Befragung durch das Institut Allensbach ist in erster Linie der Frage nachgegangen, ob die Verbraucher die in der Erstellung der Nährwertkennzeichnungsmodelle berücksichtigten Kriterien nachvollziehen können. Die Befragung der Info GmbH hat die subjektiv empfundene Sinnhaftigkeit für die Einführung eines Nährwertkennzeichnungssystems sowie das objektive Verständnis für die auf der Lebensmittelverpackung angezeigte Bewertung überprüft. Hier hatte der Nutri-Score tatsächlich am besten abgeschnitten. Aber nur das Institut für Demoskopie Allensbach ist auch der Frage nachgegangen, inwieweit ein Nährwertkennzeichnungs-modell in der Wahrnehmung der Verbraucher:innen ausreichend Informationen liefert, um eine informierte Kaufentscheidung treffen zu können. Hier konnte der Nutri-Score im Gegensatz zu anderen Modellen nicht punkten. Die Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach ergänzt damit bisherige wissenschaftliche Erkenntnisse, die bereits gezeigt haben, dass der Nutri-Score in der Wahrnehmung der Verbraucher nicht die höchste Informationsleistung hat.
Lebensmittelverband Deutschland
Der Lebensmittelverband Deutschland e.V. ist der Spitzenverband der deutschen Lebensmittelwirtschaft. Ihm gehören Verbände und Unternehmen der gesamten Lebensmittelkette «von Acker bis Teller», aus Landwirtschaft, Handwerk, Industrie, Handel und Gastronomie an. Daneben gehören zu seinen Mitgliedern auch private Untersuchungslaboratorien, Anwaltskanzleien und Einzelpersonen (Foto: BMEL – Janine Schmitz – photothek.net).
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