Bonn. (bzfe) Klimawissenschaftler stehen in der gesellschaftlichen Diskussion an einem ähnlichen Punkt wie Ernährungswissenschaftler. Was können sie voneinander lernen? Diese und andere Fragen behandelte der K3 Kongress zu Klimawandel, Kommunikation und Gesellschaft in Karlsruhe, von dem das BZfE Bundeszentrum für Ernährung wie folgt berichtet:
Nach Jahrzenten der Informationsarbeit stellen sie fest, dass die Lücke zwischen Wissen und Handeln immer größer wird. «In gewisser Weise bin ich gescheitert mit der Kommunikation», sagte der Klimawissenschaftler und Meterologe Mojib Latif auf dem K3 Kongress zu Klimawandel, Kommunikation und Gesellschaft in Karlsruhe. «Wir wissen genug, aber handeln tun wir nicht», sagte er. «Ich kann auch Angela Merkel nichts mehr beibringen, sie weiß alles.»
«Ich bin fassungslos, dass die Menschen nach 30 Jahren immer noch nicht die Bedeutung des Klimawandels begriffen haben», sagte George Marshall. Er ist Gründer des Climate Outreach Information Network und Autor zahlreicher Bücher zu Klimawandelkommunikation. Ein Grund dafür sei, dass wir die Menschen nicht erreichen. Wir müssen die Kommunikation transformieren, meinte er. Das Wichtigste sei, dass Menschen das Vertrauen bekommen, sie könnten etwas bewirken. Sie müssten verstehen, was der Klimawandel für all das bedeutet, was sie lieben und schätzen. Marshall sieht hier vor allem die Regierungen in der Pflicht: Sie müssen in zielgruppengerechte und transformative Klimakommunikation investieren. Die Presse allein könne das nicht leisten.
Der Sozialpsychologe Harald Welzer spricht von paradoxalen Effekten. Auf der Bewusstseinsebene hätte die Kommunikation durchaus viel erreicht. 80 % der Deutschen seien sehr besorgt über den Klimawandel. In dem gleichen Maß aber, in dem sich das Bewusstsein gesteigert hat, haben alle Werte des Umweltverbrauches zugenommen. «Wissen wird total überbewertet», meint Welzer, «denn es ist nicht handlungsleitend. Was unser Handeln leitet, sind situative Anforderungen. Etwa die Frage: Wie kommen die Kinder in die Kita? Oder wie machen wir Urlaub? Auf diese Fragen müssen wir bessere Antworten finden.» Welzer spricht von einem Netzwerk von kleinteiligen und fehlerfreundlichen Lösungsansätzen (Heterotopien), das sind Orte an denen Menschen in einem geschützten Umfeld Neues entwickeln und ausprobieren können. Es fehle aber an zukunftstauglichen Visionen. Man bräuchte keinen Klimawandel um zu erkennen, wie viele Vorteile eine autofreie Stadt hat, meinte er: Weniger Lärm, weniger Emissionen, mehr Gesundheit, mehr Wohnraum, und, und.
Die Debatte zeigte aber auch, dass es um weit mehr geht, als um die zielgruppengerechte Vermittlung von Fakten und neuen Leitbildern. Bei der Gestaltung von gesellschaftlichen Veränderungen geht es auch um Macht und Interessen. Ein Aspekt, der in der Klimakommunikation bislang zu kurz kam. «Wir handeln nicht in ideellen Welten auf Grund von Einsicht», meinte Welzer. Unsere Kultur im Jahr 2019 sei geprägt von einer Vorherrschaft der Ökonomie. «Das Erstgebot im Jahr 2019 lautet: Du sollst kaufen! Das ist das, was unsere Kinder im ersten Augenblick des Bewusstseins hören und verinnerlichen.» Die Dominanz der Wirtschaft sei auch einer der Gründe für das Politikversagen, meinten Latif und Welzer. Hinzu komme eine Fehleinschätzung der Lage. Klimawandel sei kein Politikfeld der üblichen Art, es sei eine Überlebensfrage. Alle Ressorts müssten zusammenarbeiten, um die Bedrohung zu bewältigen. Das Wenige, was derzeit passiert, nennt Latif Sterbehilfe fürs Weltklima. «Die Politik hat den Schuss nicht gehört.»
Eine Lücke, die nun Fridays for Future füllt. Die Treiber für Veränderung seien immer die gebildeten fünf Prozent, meint Welzer. Das zentrale Erfolgsmotiv in der Geschichte der sozialen Bewegungen ist aber noch nie die Wissenschaft gewesen, sondern das Thema Gerechtigkeit.
Bei den Herausforderungen aber auch im Ringen um Lösungen gibt es viele Parallelen: Klimawissenschaften und Ernährungswissenschaften können ganz offensichtlich voneinander lernen. Die Konferenz zeigte auch, dass der Austausch lohnenswert sein könnte, schließt das das BZfE Bundeszentrum für Ernährung seine Zusammenfassung.
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