Bremerhaven. (eb) Der Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft des Deutschen Bundestags hat sich in einer öffentlichen Anhörung in dieser Woche mit neuen genomische Techniken befasst. Grundlage war ein Antrag aus der Opposition mit dem Titel «Landwirtschaftliche Produktion zukunftsfähig gestalten – Innovationsrahmen für neue genomische Techniken schaffen» (BT-Drucksache 20/2342).
Die CDU/CSU-Fraktion als Antragstellerin fordert eine gezielte Nutzung und die Weiterentwicklung neuer Züchtungsmethoden in der Landwirtschaft sowie eine Reform des EU-Gentechnikrechts. In ihrem Antrag wird auf die Notwendigkeit verwiesen, die «landwirtschaftliche Produktion zukunftsfähig zu gestalten». Die Bundesrepublik Deutschland sei ein landwirtschaftlich «hoch produktiver Standort» und stehe damit in der Verantwortung, nicht nur die eigene Ernährung sicherzustellen, «sondern auch einen Beitrag zu leisten, Hunger in anderen Teilen der Welt zu bekämpfen».
Wissenschaftlicher Fortschritt und technologische Innovation gäben Landwirten weltweit dazu eine Fülle an Werkzeugen an die Hand, die zum effizienten und ressourcenschonenden Ackerbau bei gleichzeitiger Ertragssicherung beitragen würden. Während moderne digitalisierte Landmaschinen mittels Sensoranalyse zum Beispiel die zielgenaue Dünge- und Pflanzenschutzmittelausbringung sicherstellten, ermöglichten Errungenschaften im Bereich der Pflanzenzucht, Nutzpflanzen resilienter gegen Klima- und Umwelteinflüsse und resistenter gegen Erreger und Schadinsekten werden zu lassen. «Mit der Entdeckung von Crisper/Cas und anderen «Neuen Genomischen Techniken» (NGT) wurde auch die Pflanzenzucht weltweit revolutioniert», heißt es in dem Antrag.
Im Vergleich zur klassischen Gentechnik könne mit NGT präzise und zielgerichtet in das Erbgut einer Pflanze eingegriffen und ausschließlich gewünschte Veränderungen vorgenommen werden, argumentieren die Abgeordneten. Anders als bei der Mutagenese-Züchtung würden mit NGT gezielt und an genau bestimmten Stellen Punkt-Mutationen hervorgerufen. NGT verringere dabei den Korrekturbedarf, der sich aus Zufälligkeiten in der herkömmlichen Züchtung ergeben könne, was Zeit und Kosten spare und die Sicherheit des Züchtungsprozesses verbessere – fasst der Ausschuss den Antrag zusammen.
Der Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft unter Leitung von Hermann Färber (MdB) hörte während der öffentlichen Anhörung in dieser Woche die Stellungnahmen folgender Experten (die entsprechenden Dokumente im Format PDF sind als Hyperlinks wie folgt hinterlegt und abrufbar):
- Prof. Dr. jur. Hans-Georg Dederer, Universität Passau, Lehrstuhl für Staats- und Verwaltungsrecht, Völkerrecht, Europäisches und Internationales Wirtschaftsrecht,
- Prof. Dr. Maria Renate Finckh, Universität Kassel, FB Ökologische Agrarwissenschaften, Fachgebietsleiterin Ökologischer Pflanzenschutz,
- Dr. Eva Gelinsky, Semnar Saatgutpolitik und Wissenschaft in CH-Baldegg (LU), Studien, Artikel, Vorträge sowie Seminare und Führungen zu technisch-praktischen, rechtlichen und politischen Fragen rund um das Thema Saatgut,
- Dr. Ricarda Steinbrecher, Biologin und Molekulargenetikerin, Oxford (UK), Mitglied der internationalen Experten Gruppe (AHTEG) zur Synthetischen Biologie der UN Konvention für Biologische Vielfalt,
- Prof. Dr. Nicolaus von Wirén, Agrarbiologe, Leiter der Abteilung für Physiologie und Zellbiologie am Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben.
- Als Interessenvertretung nahm außerdem die European Non-GMO Industry Association (ENGA) an der Anhörung teil und gab ihre ausführliche Stellungnahme ab.
Die Stellungnahme von Hans-Georg Dederer kann nur juristische Aspekte prüfen und dient der grundsätzlichen Feststellung, dass die Antragstellerin aufgrund des anerkannten wissenschaftlichen Fortschritts durchaus das Recht hat, das geltende Gentechnikrecht in der Europäischen Union zu hinterfragen. Darauf grenzt der Sachverständige seine Stellungnahme klar ein.
Maria Renate Finckh aus Kassel, Eva Gelinsky aus CH-Baldegg und Ricarda Steinbrecher aus UK-Oxford vertreten die Positionen, die in der Summe den Durchschnitt abbilden, wie die bundesdeutsche Gesellschaft dem Thema Gentechnik in der Lebensmittelwirtschaft mehrheitlich gegenübersteht. Die Stellungnahmen sind jede für sich nicht lang und unterscheiden sich selbstverständlich in Nuancen und Blickwinkeln. Es ist nicht verkehrt, die drei Papiere wenigstens überflogen zu haben.
Nicolaus von Wirén aus Gatersleben zieht ein anderes Fazit. Zitat: «(…) Pflanzen aus der ungerichteten Mutagenesezüchtung – über Strahlung oder Chemikalien – werden vom europäischen Gesetzgeber als seit Jahrzehnten «sichere» GVO eingestuft und sind daher von der GVO-Regulierung ausgenommen (…).
Aus naturwissenschaftlicher Sicht scheint die Lösung einfach
(Fortsetzung Zitat) «Genetische Veränderungen bei der der CRISPR-Cas-Technologie sind um ein Vielfaches geringer als bei dem etablierten Verfahren der induzierten Mutagenese durch Bestrahlung oder chemische Behandlung von Saatgut. Im Gegensatz zur induzierten Mutagenese ist die Genomeditierung zielgerichtet. Das Ergebnis ist absehbar und wird nicht, wie bei der induzierten Mutagenese dem Zufall überlassen. Die Verwendung NGT entspricht somit einer konsequenten Weiterentwicklung bisheriger Züchtungstechniken.
«Das Ausmaß der erzeugten genetischen Modifikation ist dem natürlicher Mutationen gleichzusetzen (Ausnahme: HR mit längeren Gensequenzen, SDN3). Von solchen genomeditierten Pflanzen geht dasselbe potenzielle Risiko für Mensch und Umwelt aus wie bei zufälligen Mutationen, die bei der Kreuzungszüchtung entstehen. Dagegen ist das Risiko geringer als beim Einsatz von Mutagenen (zum Beispiel energiereiche Strahlung oder Chemikalien), die deutlich mehr off-site-Effekte (Anm.d.Red.: «unerwünschte Nebeneffekte») bewirken und deren Anwendung dennoch als sicher gilt.
«Aus naturwissenschaftlicher Sicht gibt es keinen Grund, über NGT erzeugte Pflanzen anders zu bewerten als solche, die über spontane oder ungerichtet induzierte Mutagenese erzeugt wurden. Insofern basieren die im Antrag formulierten Forderungen auf wissenschaftlich belegten Fakten. Es ist auch höchstwahrscheinlich, dass besonders Nachhaltigkeitsziele (unter anderem Reduzierung von Düngung, Wasserverbrauch und chemischem Pflanzenschutz) durch die Einbeziehung von NGT in das vorhandene Instrumentarium der Pflanzenzüchtung rascher und effektiver erreicht werden können. Diese Einschätzung wird auch von den Wissenschaftsakademien und der DFG geteilt (Leopoldina 2019).» (Zitat Ende).
Gesellschaft, Okonomie und Ökologie als natürliche Gegengewichte
Ginge es nur um die naturwissenschaftliche Sicht der Dinge, könnten sich die Akteure leicht einigen und hätten einen «Plan B» in der Tasche für den Fall, sollte der Klimawandel irgendwann – gesellschaftlich, ökonomisch wie ökologisch – nicht mehr beherrschbar sein. «Die Welt brennt!» Mit drastischen Worten warnt zum Beispiel UN-Generalsekretär Antonio Guterres längst vor den Folgen der Erderwärmung.
Gleichzeitig sind die Mechanismen und Verflechtungen aus Gesellschaft, Ökonomie und Ökologie die natürlichen Gegengewichte zur naturwissenschaftlichen Inselbetrachtung. Für die Naturwissenschaft ist die Genschere Crispr/Cas9 einfach nur ein besonders vielversprechendes Instrument. Zu Recht erhielten die Forscherinnen Emmanuelle Charpentier und Jennifer A. Doudna genau dafür im Jahr 2020 den Chemie-Nobelpreis. In Nordamerika und anderen Regionen der Welt, wo genveränderte Organismen längst unkontrolliert von Feld zu Feld fliegen, wird man das ähnlich sehen. Weil den Gesellschaften nicht viel mehr bleibt, als Instant-Saatgut von einer Handvoll Saatgutkonzerne zu kaufen, statt radikal umzusteuern und regional angepasste, widerstandsfähige Vielfalt wieder selbst zu züchten.
Europa hingegen will «sauber» bleiben und baut mit seinem für alle verfügbaren Opensource-Ansatz einen einzigartigen Vorteil auf. Das kostet Zeit und Überzeugungskraft. Doch die großen Handelskonzerne zum Beispiel haben die Einzigartigkeit längst verstanden und erkennen den Wert, der sich zunehmend für Gesellschaft, Ökonomie und Ökologie ergibt. In diesem Sinn ist kein Grund vorhanden, die europäische GVO-Richtlinie zu ändern – die Genome Editing übrigens nicht verbietet, sondern nur einer angemessenen Regulierung unterwirft. Die Forschung ist erlaubt und findet in Deutschland erfolgreich statt. Bester Beweis ist der erwähnte Chemie-Nobelpreis 2020. Die französische Preisträgerin Charpentier – Mikrobiologin, Genetikerin und Biochemikerin – ist seit 2018 Leiterin der Max-Planck-Forschungsstelle für die Wissenschaft der Pathogene in Berlin, zuvor war sie seit 2015 Direktorin am Berliner Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie. Welches Verbot soll sie für ihren Chemie-Nobelpreis umgangen haben?
Lange Rede, kurzer Sinn: Es ist zu früh, um potenzielle Änderungen der europäischen GVO-Richtlinie zu diskutieren. Die Forschungslandschaft ist gut aufgestellt und erlaubt es, richtungsweisende Leistungen zu zeigen. Die ernstzunehmende Kommerzialisierung der wissenschaftlichen Vorleistung scheint dagegen, zumindest im Agrarsektor, noch meilenweit hinterherzuhinken. Jedenfalls fällt dem WebBaecker ad-hoc kein marktreifes Genscheren-Resultat ein, für das mal eben kurz bewährtes GVO-Recht fallen müsste.
Die Aufweichung der GVO-Richtlinie würde ganze Branchen gefährden
«Die Anhörung vor dem Ausschuss hat erneut deutlich gezeigt, dass wir die bestehenden, bewährten Gentechnik-Regeln bewahren müssen. Sie aufzuweichen, wäre nicht nur ein Risiko für Umwelt und Gesundheit, sondern würde auch die Bio- und konventionelle «Ohne Gentechnik»-Lebensmittelwirtschaft existenziell gefährden, die zusammen in Deutschland für fast 30 Milliarden Euro Umsatz stehen. Bio und «Ohne Gentechnik» sind darauf angewiesen, ihren Kunden gentechnikfreie Produkte garantieren zu können. Das wäre kaum noch möglich, würden die Regeln nicht mehr konsequent auch für neue Gentechnikverfahren gelten», sagt Alexander Hissting, Geschäftsführer des Verbands Lebensmittel ohne Gentechnik (VLOG). «Gentechnikfreie Qualitäts-Lebensmittel stehen bei Verbrauchern hoch im Kurs. Eine Aufweichung der Regeln würde ihr Vertrauen in Produkte, Wirtschaft und Politik massiv erschüttern. Die Bundesregierung muss die aktuellen Pläne der EU-Kommission zur Deregulierung der Gentechnik stoppen.» Glücklicherweise muss nicht die gesamte EU-Kommission gestoppt werden. Es ist nur die Agrarindustrielobby, deren Macht und Einfluss – endlich – eingehegt werden müssen (Foto: pixabay.com).