Berlin. (bbgfg) Die Berlin-Brandenburgische Gesellschaft für Getreideforschung (BBGfG) hatte im Vorfeld der Internationalen Grüne Woche (IGW) zur 47. Wissenschaftlichen Informationstagung in die Bundeshauptstadt eingeladen. Rund 230 Experten des deutschen Getreide- und Backgewerbes sowie der Wissenschaft und der Zulieferindustrie folgten dem Ruf.
Zwei große Themen bestimmten die Tagung
Sicherheitsrisiken für die Backwarenherstellung
Der erste Tag der 47. Wissenschaftlichen Informationstagung beleuchtete thematisch intensiv «Sicherheitsrisiken für die Backwarenherstellung». Die BBGfG wollte und will hiermit einen Beitrag zur Diskussion über dieses so wichtige Thema leisten. Dies erscheint insbesondere von Bedeutung, da Institutionen, die offiziell mit der Wahrung der Lebensmittelsicherheit und Gestaltung der dazugehörigen Prozesse betraut sind, in der Öffentlichkeit unzureichend Anerkennung finden. Ganz im Gegenteil vom zu Erwartenden, ist zusehends eine Entwicklung zu beobachten, bei der der Konsument sowohl staatlichen Organisationen als auch Unternehmen sein Vertrauen entzieht. In diesem Zusammenhang spielen der Fibronilskandal und die Diskussion um die Zulassung von Glyphosat natürlich eine Rolle. Lebensmittelsicherheit ist ein weiter Begriff, den man als Gebiet verschiedener Maßnahmen und Konzepte verstehen kann, die sicherstellen sollen, dass von Lebensmitteln keine Gefahr für die Gesundheit von Verbrauchern ausgeht.
Im Rahmen der Tagung war es sicherlich unmöglich, die vom BMEL formulierten sieben Grundprinzipien der Lebensmittelsicherheit, nämlich die Unternehmerverantwortung, die Rückverfolgbarkeit, die amtliche Lebensmittelüberwachung, das Vorsorgeprinzip, die unabhängige wissenschaftliche Risikobewertung, die Trennung von Risikobewertung und Risikomanagement sowie die transparente Risikokommunikation, erschöpfend zu diskutieren.
Wie das BVL mitteilte, waren etwa acht Prozent der durch die Lebensmittelüberwachung beanstandeten Proben des Jahres 2014 auf Belastungen mit zum Beispiel Fremdkörpern, Mykotoxinen, Pflanzenschutzmittelrückständen und Acrylamid zurückzuführen.
Bei dem Versuch, diesem Thema doch gerecht zu werden, setzte sich die 47. Informationstagung am ersten Veranstaltungstag mit einigen expliziten Risiken und Maßnahmen auseinander. Hierbei nahm zunächst das Acrylamid eine prominente Rolle ein, da die kürzlich erlassene gesetzliche Regelung der EU hier einen Meilenstein für den Umgang mit einem Risiko darstellt. Hierbei dient das Beispiel nicht nur dazu, zu illustrieren wie der Weg vom erkannten Risiko bis zur Regelung verläuft, sondern auch, wie das Zusammenspiel verschiedener Instanzen funktioniert. Dass die bis heute veröffentlichten epidemiologischen Studien zum Acrylamid weder erlauben, einen Zusammenhang zwischen der Acrylamid-Exposition und einer Krebserkrankung anzunehmen noch auszuschließen, dokumentiert das Dilemma im Umgang mit Risiken. In diesem Kontext ist es wichtig zu verstehen, unter welchen Annahmen die Sicherheitsmarge für die Exposition auf der Basis von Tierversuchen ermittelt wird, ob für die Anwesenheit einer bestimmten Substanz Handlungsbedarf besteht.
Anders als bei Acrylamid, das während des Backprozesses entsteht, ist die Belastung mit 3-Monochlorpropandiolen (MCPD) und Glycidyl-Fettsäureestern (GE) eine Kontamination, die durch eine Zutat, unter den Fetten und Ölen insbesondere dem Palmöl, in die Backware eingebracht wird. Dieser Fall, der uns mittlerweile zehn Jahre begleitet, zeigt deutlich auf, dass es, um von der Entdeckung einer Kontamination zu einem Verständnis des Risikos und dessen Beherrschung zu kommen, notwendig ist, zahlreiche technologische und wissenschaftliche Herausforderungen zu meistern.
Im Gegensatz zu chemischen Kontamination stellen Fremdkörper eine andere Kategorie in der Bedrohung der Sicherheit dar. Hierbei ist zu unterscheiden, ob diese durch bewusstes menschliches Zutun, also Sabotage, oder als Resultat der Offenheit der Produktionskette zu betrachten sind. Letztere können katalogisiert werden und dementsprechende Maßnahmen zur Abtrennung entworfen und zur Anwendung gebracht werden. Neben den Gefahren, die aus Unachtsamkeit oder mangelhafter Kontrolle erwachsen können, müssen Lebensmittel auch vor absichtlichen Eingriffen geschützt werden. Den Schutz von Lebensmitteln vor diesem diffusen Risiko mutwilliger Kontaminationen oder Verfälschungen durch biologische, chemische, physikalische oder gar radioaktive Stoffe, fasst man unter dem Term «Food Defense» zusammen.
Zukunft der Backwarenherstellung
Der zweite Veranstaltungstag legte den Fokus auf die «Zukunft der Backwarenherstellung». Es blieb und bleibt dem Zuhörer und Verbraucher überlassen, ob er das Fortschreiten des Entstehens des Internets der Dinge, für industrielle Anwendungen auch als Industrie 4.0 tituliert, sowie das allgegenwärtige Schlagwort Künstliche Intelligenz (KI oder AI) als Risiko und Bedrohung erfährt oder unausweichliche Möglichkeit, die es sich zu Nutze zu machen gilt.
Zu diesem Themenkomplex erörterte die Tagung zum einen die Auswirkung der Digitalisierung auf Herstellungsprozesse und Logistik in der Lebensmittelindustrie und stellte als spezifisches Beispiel ein intelligentes Assistenzsystem zum Backen dar. Jedoch sind Daten und Steuerung nicht genug, um nicht-virtuelle Produkte herzustellen. Die Diskussion eines optimierten Backprozesses, der es erlaubt, detailliert und variabel die Wärmeübertragung zu steuern, zeigt zum einen auf, dass Energieeffizienz, Flexibilität und Qualität verbessert werden können, wenn detaillierte technologische Erkenntnisse umgesetzt werden.
Darüber hinaus macht die erhöhte Komplexität der Möglichkeiten/Beherrschung dieses Prozesses auch deutlich, dass zukünftige Innovationen höchstwahrscheinlich gewinnbringendst sein werden, wenn Digitalisierung und technologische Differenzierung Hand in Hand gehen. Derartige Differenzierungen lassen sich meist auf tiefgründige Erkenntnis, Übertragung aus anderen Anwendungsgebieten oder das Überwinden von eingeschliffenen Denkbildern zurückführen. Vorträge zur Texturierung von Pflanzenproteinen mittels Extrusion zur Herstellung von Fleischsurrogaten und zur Übertragung des Verständnisses von Mikrogeleigenschaften in Milchprodukten auf Teige illustrierten dies eindrücklich.
Ziel der Diskussion – Fazit
Mit der 47. Wissenschaftlichen Informationstagung und ihrer späteren Dokumentation wollte und will die Berlin-Brandenburgische Gesellschaft für Getreideforschung zur Diskussion in Fachkreisen anregen, die Themen versachlichen und einen Beitrag zur öffentlichen Diskussion leisten. Die Resonanz und das Engagement der rund 230 Teilnehmenden in Berlin zeigte, dass die Themenwahl den Nerv der meisten Experten getroffen hat und zur rechten Zeit auf die Tagesordnung gesetzt war.
Verleihung von Förderpreisen
Am ersten Veranstaltungstag werden traditionell der Wissenschaftliche Förderpreis des Verbands Deutscher Großbäckereien, gestiftet zu Ehren von Prof. Dr. Matteï Rohrlich, und der Förderpreis der Bäcker-Innung Berlin für den wissenschaftlichen Nachwuchs verliehen. Am zweiten Veranstaltungstag verleiht die Bäckermeister Alfred Kühn Stiftung ihren Preis für eine besondere Leistung in Wissenschaft, Forschung und Entwicklung zur Backwarenherstellung. Außerdem wird an diesem Tag der Bernhard-van-Lengerich-Forschungspreis für hervorragende Leistungen und innovative Forschungstätigkeiten von Nachwuchswissenschaftlern/-innen auf dem Gebiet der Lebensmittelwissenschaften überreicht.
Wissenschaftlicher Förderpreis des Verbands Deutscher Großbäckereien

Preis der Bäcker-Innung Berlin

Preis der Bäckermeister Alfred Kühn Stiftung

Bernhard-van-Lengerich-Forschungspreis

Über die Berlin-Brandenburgische Gesellschaft für Getreideforschung
Die Aufgabe der Berlin-Brandenburgischen Gesellschaft für Getreideforschung (BBGfG) ist es, für den gesamten Bereich der Getreideverarbeitung eine Verbindung zwischen Praxis und Wissenschaft herzustellen. Die Voraussetzungen hierfür sind durch eine enge Zusammenarbeit mit den einschlägigen wissenschaftlichen Einrichtungen im Raum Berlin und Brandenburg (TU Berlin, Beuth Hochschule für Technik Berlin, IGV Nuthetal, DIfE Nuthetal) gegeben.
Die Zusammenarbeit mit diesen Lehr- und Forschungseinrichtungen dient vor allem dem Ziel, durch den Sachverstand der in der Praxis tätigen Mitglieder der BBGfG einer an den Problemen der Praxis orientierten aktuellen Grundlagen- und angewandten Forschung Impulse zu geben sowie darüber hinaus auch die Lehrinhalte der zugehörigen Studiengänge der Lebensmittelwissenschaften auf dem neuesten Stand zu halten.
Die BBGfG richtet ihre Vereinsziele fortlaufend mit Blick auf den Vorteil des politischen Standorts Berlin aus. Das geschieht insbesondere über die alljährlich zur Internationalen Grünen Woche Berlin stattfindende Wissenschaftliche Informationstagung. Wesentliches Ziel ist es, die oft intransparenten gegenseitigen Abhängigkeiten zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Politik aufzuhellen. Das soll im Interesse von Wahrheit und Klarheit in der Darstellung von Sachverhalten dienen, die vor allem auch den Verbraucher betreffen.
Termin 2019
Die 48. Wissenschaftliche Informationstagung der Berlin-Brandenburgischen Gesellschaft für Getreideforschung wird 2019 wie gewohnt im Vorfeld der Internationalen Grünen Woche in Berlin stattfinden.