Dienstag, 19. März 2024

Vorsorge: Prämiensparer können Nachzahlungen fordern

Nürnberg. (hpr) Der Bundesgerichtshof (BGH) fällte am 06. Oktober 2021 ein bahnbrechendes Urteil (XI.ZR.234/20) im Zusammenhang mit sogenannten Prämiensparverträgen, die Sparkassen und andere Kreditinstitute massenweise zwischen 1990 und 2010 angeboten haben. Die hierin enthaltenen Zinsanpassungsklauseln sind grundsätzlich unwirksam. «Danach dürfte fast allen Sparern ein vierstelliger Zinsnachschlag zustehen», sagen Dr. Marcus Hoffmann und Mirko Göpfert von der im Verbraucherschutz-, Bank- und Kapitalanlagerecht tätigen Kanzlei Dr. Hoffmann + Partner Rechtsanwälte aus Nürnberg.

Verbraucher können oder wollen häufig nicht «zocken», wenn es um das Thema Geldanlage geht. Sie setzten daher in der Vergangenheit häufig auf sichere Sparverträge anstatt auf riskantere Anlageformen. Insbesondere sogenannte Prämiensparverträge waren besonders beliebt. Bei diesen sollen besonders treue Kunden für langfristiges Sparen zusätzlich zum variablen Zins mit Prämien belohnt werden, welche mit der Vertragslaufzeit steigen.

Wenn der Kunde lästig wird

Wegen des zunehmend vorherrschenden Niedrigzinsumfelds wurden langfristige Sparverträge für Kreditinstitute unrentabel. Daher wollten sich vor allem Sparkassen ihrer Altverträge möglichst schnell entledigen und kündigten vor allem in den Jahren 2018 und 2019 tausende Verträge. Die Kündigung alter Sparverträge ist nach dem Urteil des BGH vom 14.05.2019, XI ZR 345/18, zulässig, wenn die höchste Prämienstufe erreicht und sonst keine Laufzeit vereinbart worden ist. «Dies genügte den Sparkassen jedoch nicht. Sie wollten mehr respektive noch weniger an ihre Kunden zahlen und betrieben Verfahren, in denen es um die variable Zinsanpassung im Vertragsverhältnis ging», meint RA Dr. Marcus Hoffmann.

Zinsanpassungsklauseln

Die Sparverträge enthalten sogenannte Zinsanpassungsklauseln. So heißt es regelmäßig: «Die Spareinlage wird variabel, zur Zeit mit (xxx) Prozent verzinst.» In den Vertragsbedingungen wird dann oft lapidar auf den «jeweils gültigen Zinssatz durch Aushang» verwiesen. Wegen der Niedrigzinsphase korrigierten Sparkassen und Banken die Zinsen massiv nach unten. Derzeit sind teils nur noch erschreckende 0,01 Prozent bis hin zu 0,001 Prozent zu verzeichnen. «Der Bundesgerichtshof hatte bereits im Jahr 2004 entschieden, dass Zinssätze bei Sparverträgen mit variablem Zins durch die Kreditinstitute nicht einfach «nach Belieben» festgesetzt werden dürfen, sondern der Zins fair an die Marktverhältnisse anzupassen ist», erläutert Rechtsanwalt Göpfert.

Unangemessene Benachteiligung der Kunden

Dies bestätigte der BGH erneut. Zunächst qualifizierte der BGH in seinem aktuellen Urteil vom 06.10.2021, XI ZR 234/20, die weit verbreitete Vorgehensweise zahlreicher Sparkassen und Banken, die Zinsen «nach Gutsherrenart» nach unten anzupassen, zu Recht als ungemessene Benachteiligung der Kunden. Der BGH entschied, dass die angegriffene Klausel wegen eines Verstoßes gegen § 308 Nr. 4 BGB unwirksam ist, da sie nicht das erforderliche Mindestmaß an Kalkulierbarkeit möglicher Zinsänderungen aufweist. Die Sparkassen müssen die Verträge neu abrechnen und die ursprünglich vereinbarten Zinssätze fair anpassen. Dafür ist nach Ansicht der Bundesrichter ein Zinssatz für langfristige Spareinlagen als Referenz für die Verzinsung heranzuziehen. Nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs steht jetzt fest: Prämiensparer erhalten einen Nachschlag. Dies war der nach Auffassung der Nürnberger Rechtsanwälte zu erwarten, nachdem es entsprechende Urteile des BGH bereits zuvor gab.

Rückforderung über den gesamten Sparzeitraum möglich

Wirklich neu und in wirtschaftlicher Hinsicht für betroffene Sparer geradezu sensationell ist die Feststellung des BGH, dass die Verjährungsfrist für die Ansprüche auf Zinsnachzahlung erst mit der Beendigung des Sparvertrags beginnt. Dies bedeutet, dass sämtliche Zinsansprüche über die gesamte Laufzeit der Sparverträge, die häufig bereits in den 90er Jahren abgeschlossen worden sind, zurückgefordert werden können.

Kreditinstitute hatten demgegenüber in streitigen Auseinandersetzungen immer argumentiert, dass die Zinsforderungen jährlich fällig werden und damit die Verjährung bereits mit Vertragsabschluss zu laufen begonnen hat. Auch einige Instanzgerichte hatten – teils wohl auch vor dem Hintergrund die Klagen wegen Verjährung schnell und einfach zu erledigen – diese Rechtsauffassung vertreten.

«Dieser Auffassung hat der Bundesgerichtshof nunmehr erfreulicherweise mit seinem Urteil vom 06. Oktober 2021, XI.ZR.234/20, eine klare Absage erteilt», stellt Rechtsanwalt Dr. Marcus Hoffmann klar. Nachdem Verbraucher für den gesamten Sparzeitraum eine Zinsanpassung verlangen können, dürfte fast allen Sparern ein vierstelliger Zinsnachschlag zustehen, falls deren Verträge noch laufen oder erst nach dem 31.12.2017 gekündigt worden sind. Im Einzelfall sind sogar 10.000 Euro oder mehr drin.

Vorsicht: Gleichwohl Verjährungsfristen zu beachten

Ab der Beendigung des Prämiensparvertrags läuft die dreijährige Verjährungsfrist. Sobald nach Ende des Jahres, in dem der Vertrag gekündigt oder in anderer Weise beendet worden ist, drei Jahre vergangen sind, sind Rückforderungsansprüche nicht mehr durchsetzbar.

Nachdem vor allem 2018 und 2019 sehr viele Prämiensparverträge durch Sparkassen gekündigt wurden, ist nunmehr also schnelles Handeln angezeigt. «Wer bereits 2018 eine Kündigung erhielt, dem bleiben nun nur noch wenige Wochen bis zum Jahresende, um eine Klage gegen seine Sparkasse zu erheben», mahnt Rechtsanwalt Mirko Göpfert. Die Zeit drängt daher. Sparer sollten ihre Verträge daher umgehend durch einen auf dem Gebiet des Bankrechts fachkundigen Rechtsanwalt überprüfen lassen.

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