Freitag, 29. März 2024
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Advanced Biofuel: Biosprit statt Hefe?

Bonn. (dvh) Die Europäische Kommission beabsichtigt, Melasse als Rohstoff zur Herstellung von Bioethanol der zweiten Generation(*), dem so genannten «Advanced Biofuel» freizugeben. Die Hersteller von Backhefe befürchten, dass dann die Biospritherstellung mit der Nahrungsmittelproduktion in noch größerer Konkurrenz um die verfügbaren Mengen steht. Die Hefehersteller müssen eine Verknappung ihres mit Abstand wichtigsten Rohstoffs befürchten. Werden die Pläne der Kommission Wirklichkeit, ist mit deutlichen Preissteigerungen bei der Melasse zu rechnen, schreibt der Deutsche Verband der Hefeindustrie (DVH).

Verwendung von Melasse zur Backhefeherstellung

Der Wirtschaftszweig produziert an fünf Standorten in Deutschland rund 200.000 Tonnen Backhefe pro Jahr. Wichtigster Rohstoff für die Hefeherstellung ist Melasse. Zur Herstellung von 100 Kilogramm Backhefe werden etwa 125 bis 150 Kilo Melasse benötigt. Der Jahresbedarf liegt also bei aktuell etwa 250 bis 300.000 Tonnen Melasse. Als Abnehmer von Melasse steht die Hefeindustrie mit den Herstellern von anderen Hefeprodukten ebenso wie mit den Produzenten von Citronensäure und mit Tierfutterproduzenten im Wettbewerb.

Freigabe von Melasse zur Biospritherstellung

An diesem Wettbewerb um die Melasse soll sich, wenn es nach der Europäischen Kommission geht, künftig die Biokraftstoffindustrie in noch deutlich stärkerem Ausmaß beteiligen. Denn der Kommissionsentwurf nennt in Anhang IX des Vorschlags (COM (2016) 767 final) als Rohstoff für die Herstellung von Bioethanol der zweiten Generation ausdrücklich Melasse. Sollte die Vorschrift Gesetz werden, eröffnete sich ein neuer und für die Zuckerindustrie wesentlich lukrativerer Absatzmarkt für die bei der Zuckerherstellung anfallende Melasse, denn Bioethanol der zweiten Generation wird deutlich subventioniert. Logische Folge wäre eine erhebliche Verteuerung des Rohstoffs Melasse für die Hefeindustrie.

Teller vor Tank

Die Erlaubnis, Melasse auch zur Bioethanolherstellung der zweiten Generation einzusetzen, widerspräche darüber hinaus dem Grundsatz, dass die Nahrungsmittelherstellung Vorrang vor der Gewinnung von Energie aus nachwachsenden Rohstoffen hat. Ausgehend vom Verbot der Herstellung von Hefe aus Getreide infolge des Getreidemangels im «Hungerwinter» 1916/1917, nutzt die Hefeindustrie die Melasse als Rohstoff für das Hefewachstum. Sie hat die Produktion in den letzten 100 Jahren so weit optimiert, dass die Hefeherstellung inzwischen als Musterbeispiel ökologischer Kreislaufwirtschaft anzusehen ist.

Zuckermarkt im Umbruch

In Addition zu diesen Entwicklungen belastet auch der Wegfall der Zuckermarktordnung per 01. Oktober 2017 die Rohstoffkostensituation der Hefeindustrie. Da es dann keinen Industriezucker mehr geben wird, kann der bereits seit Jahren neben der Melasse als Rohstoff eingesetzte Rübendicksaft aus Preisgründen nicht mehr für die Hefeherstellung eingesetzt werden. Der Industriezucker wurde deutlich unter den Kristallzuckerpreisen gehandelt.

Fazit: Die Erlaubnis, Melasse als Rohstoff für die Bioethanolgewinnung einzusetzen, entzöge der Hefeindustrie de facto ihren wichtigsten Rohstoff, konterkarierte das Bestreben ökologischer Kreislaufwirtschaft und verstieße gegen den Grundsatz «Teller vor Tank».

(*) Bioethanol der zweiten Generation: Die Biokraftstoffe der ersten Generation werden aus Pflanzenteilen hergestellt, die man auch für die Ernährung nutzen könnte. Ausgangsstoff für die Synthese von Biosprit ist zum Beispiel Stärke aus Mais. Biodiesel wird hingegen aus fetthaltigen Saaten wie zum Beispiel Rapssamen gewonnen. Neuer sind die Technologien zur Herstellung von Biokraftstoffen der zweiten Generation wie BTL-Kraftstoffe oder Bioethanol respektive Biobutanol aus lignozellulosehaltigen Rohstoffen. Der Begriff zweite Generation bedeutet dabei, dass im Gegensatz zu Biokraftstoffen der ersten Rest- oder Abfallrohstoffe verwendet werden, die nicht auch primär zur Herstellung von Nahrungsmitteln verwendet werden. Bisher handelt es sich in erster Linie um zellulose- und lignozellulosehaltige Restrohstoffe wie Grünabfälle, Stroh oder Holz. Gemäß der Planung der Europäischen Kommission soll künftig auch die Melasse dazu zählen (Foto: pixabay.com).

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