Berlin. (18.06. / fw) Mit der «Hygiene-Ampel» sollten Verbraucher über alle Ergebnisse der amtlichen Lebensmittelkontrollen informiert werden - direkt in den Lebensmittelbetrieben. Jetzt steht die «Hygiene-Ampel» vor dem Aus. Wie eine gemeinsame Arbeitsgruppe von Wirtschafts- und Verbraucherschutzministern der Länder beschlossen hat, soll es den Unternehmen selbst überlassen bleiben, ob sie die Kontrollergebnisse bekannt machen oder nicht. Die Verbraucherminister der Länder beschlossen bereits 2011: Alle Ergebnisse der amtlichen Lebensmittelkontrollen sollen veröffentlicht werden, die «Hygiene-Ampel» soll kommen. Die Wirtschaftsminister jedoch positionierten sich mehrheitlich dagegen. Heraus kam eine ressortübergreifende Arbeitsgruppe - und mit ihr nun das wahrscheinliche Aus für die «Hygiene-Ampel».
Betriebe sollen selbst über Veröffentlichung entscheiden
Anfang Mai 2012 traf sich die gemeinsame Arbeitsgruppe von Wirtschafts- und Verbraucherschutzministern in Hamburg, erst jetzt wurde das Protokoll bekannt. Darin heißt es: «Die Vertreter der WMK (Wirtschaftsministerkonferenz) machten deutlich, dass nur eine fakultative Veröffentlichung mitgetragen werden kann. Ein obligatorisches System wird abgelehnt. Vor diesem Hintergrund verständigt sich die AG darauf, eine Veröffentlichung von lebensmittelrechtlichen Kontrollsystemen auf freiwilliger Basis weiterzuverfolgen. Hierbei entscheidet der einzelne Unternehmer, ob er die Kontrollergebnisse bekannt macht».
Ein Beschluss, der de facto das Aus für die «Hygiene-Ampel» bedeutet. Denn bei diesem Transparenzsystem ging es gerade darum, alle Kontrollergebnisse öffentlich zu machen, damit Verbraucher die guten Betriebe von den schlechten unterscheiden können und die Mehrheit der sauber arbeitenden Unternehmen keinen Wettbewerbsnachteil gegenüber den Schmuddelbetrieben hat. Ein freiwilliges System ist in Nordrhein-Westfalen schon einmal gescheitert, weil sich zu wenige Betriebe daran beteiligten und kein Hygienesünder freiwillig über negative Kontrollergebnisse informiert.
«Sonnen» für Schmuddelbetriebe?
Nach dem Beschluss der Arbeitsgruppe - beteiligt waren die Wirtschaftsministerien aus Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Hamburg sowie die Verbraucherschutzministerien aus Hamburg, Rheinland-Pfalz und Hessen - werden also eher die Schmuddelbetriebe vor den Verbrauchern als die Verbraucher vor den Schmuddelbetrieben geschützt. Zuletzt hatte der Fall der Großbäckerei Müller für Aufsehen gesorgt, weil die Behörden jahrelang von Mäusekot und Kakerlaken in der Produktion wussten, aber zunächst weder den Verkauf der Ware stoppten noch die Verbraucher informierten. Solche Fälle wären mit einer freiwilligen Lösung weiterhin möglich. Und das, obwohl die Behörden im Auftrag und zum Schutz der Bürger arbeiten. Gänzlich absurd: Die Länderminister beraten derzeit auch darüber, die Ergebnisse von Lebensmittelkontrollen im Rahmen des freiwilligen Systems in Form von Sonnen darzustellen. Je mehr Sonnen, umso mehr Gesetze hat ein Unternehmen eingehalten. Ein Lebensmittelbetrieb, der massiv gegen Hygienegesetze verstößt und kurz vor der Schließung steht, würde also von Amtswegen dafür auch noch mit einer Sonne ausgezeichnet.
Minister verstoßen gegen Ministerbeschluss, Politiker gegen Partei-Programm
Dass der Kompromiss mit den Wirtschaftsministern von drei Verbraucherschutzministern mitgetragen wurde, ist eine Abkehr von einem Beschluss der Verbraucherschutz- ministerkonferenz. Das SPD-regierte Hamburg unter Führung des stellvertretenden Bundesparteivorsitzenden Olaf Scholz und des rheinland-pfälzischen Verbraucherministers Jochen Hartloff, der auch als Verbraucherschutzkoordinator der SPD-regierten Länder fungiert, verstoßen damit zudem gegen einen Beschluss des SPD-Bundesparteitags von Dezember 2011. Darin legten sich die Sozialdemokraten auf eine obligatorische «Hygiene-Ampel» fest.
Jahr für Jahr wird bundesweit jeder vierte kontrollierte Lebensmittelbetrieb von den Behörden beanstandet, weil er gegen lebensmittelrechtliche Vorgaben verstößt. Bislang bleiben die Ergebnisse der amtlichen Kontrollen geheim. Bei der «Hygiene-Ampel» sollte ein Aushang vor Ort in jedem Betrieb über die Kontrollergebnisse informieren - je nach Grad der Beanstandung mit Grün, Gelb oder Rot gekennzeichnet. Vorbild ist das auch von foodwatch geforderte dänische Smiley-System, das mit Gesichter-Grafiken statt mit Farben arbeitet und durch das die Beanstandungsquoten seit zehn Jahren kontinuierlich gesenkt werden konnten. In Deutschland wird seit Monaten über die Einführung eines bundeseinheitlichen Systems diskutiert. Erst durch eine Verpflichtung der Betriebe, alle Kontrollergebnisse publik zu machen, wird für die Verbraucher Transparenz über die Hygienesituation geschaffen (Quelle: Foodwatch).
Lehren aus Skandal um Müller-Brot ziehen
Berlin. (fw) Auf ihrer zweitägigen Konferenz am 03. und 04. Juni 2012 berieten die Wirtschaftsminister der Länder wiederholt über ein Transparenz-System wie die «Hygiene-Ampel». Foodwatch hatte die bayerische Landesregierung im Vorfeld aufgefordert, ihre Blockadehaltung aufzugeben: «Die bayerische Landesregierung kann es ihren Bürgern nicht vermitteln, warum sie aus dem Skandal um die Großbäckerei Müller keine Lehren zieht», sagt der stellvertretende Foodwatch-Geschäftsführer Matthias Wolfschmidt in einer Pressemitteilung. «Als Bundesverbraucherminister wollte Horst Seehofer noch inmitten der Gammelfleisch-Fälle schwarzen Schafen den Kampf ansagen - jetzt gibt er gemeinsam mit Wirtschaftsminister Zeil den Handlanger von Hygienesündern und sieht zu, wie Mäuse in den Backstuben Schuhplattler tanzen».
Zwei Jahre lang wurden Hygienemängel den Verbrauchern verschwiegen
Anfang Februar 2012 erfuhren die bayerischen Verbraucher, dass die Großbäckerei Müller wegen schwerwiegender Hygienemängel vorübergehend ihre Produktion einstellen musste. Die bayerischen Überwachungsbehörden hatten spätestens seit März 2010 über die Zustände Bescheid gewusst. Wären die Behörden verpflichtet gewesen, die Ergebnisse der Lebensmittelkontrollen zu veröffentlichen - wie bei der «Hygiene-Ampel» oder dem Smiley-System nach dänischem Vorbild vorgesehen - hätten die Verbraucher Produkte aus der Bäckerei meiden können. Stattdessen haben sie mehr als 640 Millionen Brötchen und 45 Millionen Brotlaibe von Müller-Brot verzehrt, während bayerische Beamte in Mannschaftsstärke wegen Mäusekot und Kakerlaken in der Großbäckerei ein und aus gingen (Quelle: Foodwatch).
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