Detmold. (28.11. / agf) Auch im 21. Jahrhundert birgt das Getreidekorn für die Wissenschaft immer noch neue Erkenntnisse - die 65. Tagung für Bäckerei-Technologie, die Mitte November in Detmold stattfand, lieferte eine ganze Reihe von Anhaltspunkten dafür, dass dieser Befund auch weiterhin Gültigkeit hat und haben wird. Die durchweg hochkarätigen Vorträge aus der Forschungspraxis, die den über 300 Tagungsteilnehmern im Roemer-Haus auf dem Schützenberg geboten wurden, trafen sich oftmals in einen Aspekt: Seit Jahrzehnten etablierte Werte und Parameter wie Fallzahlen, Proteingehalte oder Sedimentationswerte liefern zwar Indizien für die Backeigenschaften der Rohstoffe Mehl und Getreide, aber sie bilden diese nur ansatzweise ab. Überraschende Korrelationen, die es bei den letzten Ernten des Öfteren gab - zum Beispiel enzymschwach aber gut backfähig - deuten darauf hin, dass Erklärungen für die spezifischen Eigenschaften von Getreideprodukten tiefer gesucht werden müssen. «Es kommt auf die Funktionalitäten des Rohstoffs Mehl an und nicht auf die Werte» - brachte Professor Klaus Lösche vom ttz Bremerhaven diesen Befund auf den Punkt. Neben den Vorträgen aus den Bereichen Rohstoffe und Technologie, die üblicherweise den Hauptteil der Tagung bildeten, zog sich auch noch ein anderes Thema wie ein roter Faden durch eine ganze Reihe von Vorträgen aller Themenblöcke: Die zukunftsgerechte Organisation des Wertschöpfungsprozesses in der Backwarenproduktion auf der Basis eines durchgängigen Datenmanagements.
Eine branchenübergreifende Vision davon, wie sich produzierende Betriebe in 25 Jahren organisieren werden, zeichnete gleich zu Beginn der Tagung Professor Andreas Syska in seinem impulsiven Vortrag «Fabrik der Zukunft». Der Fachmann für Produktionswirtschaft, der durch eine Beratertätigkeit bei einem großen österreichischen Backwarenhersteller einen Branchenbezug hat, erläuterte, dass die Produktionsstätte der Zukunft vollständig vernetzt und digitalisiert sein wird. Feste Organisationsstrukturen werden immer mehr verschwinden; permanenter Umbau und Flüchtigkeit werden den Alltag im Betrieb bestimmen. Umso wichtiger wird eine durchgängige Kommunikation aller Daten, welche die Produktion in Echtzeit bestimmen (Mengen, Stückzahlen, Qualitäten, Eigenschaften, Abnehmer, Lieferorte ...). Denn nur mit zutreffenden Informationen kann flexibles Reagieren und variables Planen, das beides immer wichtiger wird, bewerkstelligt werden.
Grundsätzlich wäre auch heute schon in der Backbranche ein durchgehender Datenfluss von der Kasse in der Filiale bis zur Semmelanlage in der Produktion und darüber hinaus möglich. Das größte Hindernis, das dem im Weg steht, ist bisher die mangelnde Kompatibilität der Daten. Diesen Aspekt beleuchtete gleich danach der Vortrag «Produktdatenmanagement» von Raphael Redder von der 1WorldSync GmbH, dem führenden Dienstleister für die Bereitstellung von Produkt-Barcodes für den Lebensmittelhandel. Seit 2013 ist 1WorldSync zudem Partner in einem Projekt des Backzutatenverbands, das zum Ziel hat, Artikelstammdaten von Backzutatenherstellern mit den Rohstoffstammdaten von Backwarenherstellern mit Hilfe einer herstellerübergreifenden Datenquelle zu verknüpfen. Dieses Ziel ist ambitioniert, denn die Ausgangssituation beschrieb Redder so: «Jeder Hersteller hat seine eigene Lösung. Es muss aber jeder mit jedem kommunizieren. Die Folge ist: Alle arbeiten händisch». Da aber die zu bewältigenden Datenmengen - Stichwort LMIV - immer größer werden, sollte eine Vereinfachungsmöglichkeit gefunden werden. Als mögliche Lösung präsentierte Redder eine herstellerübergreifende, definierte Schnittstelle auf der Basis des GTIN-Formats, die auch von den wichtigsten Bäckereisoftwareherstellern akzeptiert werden sollte. Mit diesem Instrument könnten dann «Rohstoffstammdaten in einem Format» bereitgestellt werden. Als Zukunftsperspektive nannte Redder sogar eine «Maschine-zu-Maschine-Schnittstelle».
Rohstoff-Stammdaten könnten dann zum Beispiel direkt vom Mehllieferanten an das Verwiegesystem der Bäckerei kommuniziert werden. In der Produktionshalle angelangt, setzt sich das Problem der mangelnden Datenkompatibilität derzeit aber in vielen Fällen fort - allerdings auf einer anderen Ebene: Nahezu alle Maschinen und Anlagen in einer Backstube verfügen heute über mindestens ein elektronisches Bauteil. Somit produzieren alle diese Aggregate vom Silo bis zum Ofen digitale Daten: Mengen, Stückzahlen, Temperaturen, Backzeiten und, und. Die Erfassung, Darstellung und Nutzung dieser Informationen (zum Beispiel zur Produktionsoptimierung) ist bisher aber meist sehr aufwändig. Der Grund dafür ist - und hier fiel in einer Diskussionsrunde wieder ein ähnlicher Satz -, dass «alle Maschinenhersteller ihre eigene Lösung haben». Die Diskussion schloss sich an den Vortrag «Weihenstephaner Standards für die Backwarenbranche» an, den Clemens Döring von der TU München-Weihenstephan am zweiten Tag der Tagung hielt. Er präsentierte unter dem Projekttitel «WS Bake» auch eine ähnliche Lösung: Die Erarbeitung einer herstellerübergreifenden Schnittstelle, die Daten aus der Backwarenproduktion in einem einheitlichen Format an eine übergeordnete Firmenebene - sei dies nun eine Betriebs-Daten-Erfassung (BDE-System) oder ein breiter aufgestelltes System zur Produktionssteuerung (MES) - liefert. Dieses Datenformat ist der sogenannte «Weihenstephaner Standard». Unter diesem Namen hat die TU München-Weihenstephan bereits ähnliche Daten-Schnittstellen für die Getränkeindustrie (WS Pack) und die Fleisch-Branche (WS Food) erarbeitet. Es handelt sich also «nur» um die Adaption eines bereits bestehenden Datenstandards auf eine neue Branche. Döring rechnete deshalb auch mit raschen Projektfortschritten. Der Knackpunkt dürfte allerdings die Akzeptanz des Datenstandards auf der Seite der Maschinenhersteller sein.
Einen ganz anderen Aspekt des Datentransfers von Maschinenherstellern zu Backbetrieben beleuchtete am Ende der Tagung schließlich noch Alexander Brunst von der Aachener Bitstars GmbH in seinem Vortrag «Kostensenkung durch Einsatz mobiler Technologie in der Backwarenbranche». Er zeigte auf, welche Möglichkeiten die Zurverfügungstellung von aktuellen Maschinen-Daten und Bedienungsanleitungen in intuitiv nachvollziehbarer Form auf mobilen Endgeräten wie Tablets oder Smartphones bieten kann. Durch adäquaten Einsatz dieser Technologien könnten laut Brunst etwa hohe Ausfallzeiten durch Maschinenstillstände und langsame Reparaturvorgänge erheblich reduziert werden.
Das Thema einer umfassenden Erfassung und Verarbeitung von Daten innerhalb des Betriebs spielt aber auch eine zentrale Rolle in den Vorträgen von Professor Guido Ritter von der Fachhochschule Bielefeld und von Lisa Venhues von der Effizienz-Agentur NRW, die sich beide mit unterschiedlichen Aspekten der effizienten Ressourcen-Nutzung und der Reduzierung von Retouren in Backbetrieben befassten. Insgesamt bot die 65. Tagung für Bäckerei-Technologie eine umfassende Palette von 17 Vorträgen aus den unterschiedlichsten Themenbereichen und ein vielfältiges Rahmenprogramm mit einem Aussteller-Forum und ansprechenden geselligen Veranstaltungen. Die 66. Tagung für Bäckerei-Technologie der Arbeitsgemeinschaft Getreideforschung (AGF) in Zusammenarbeit mit dem Max Rubner-Institut (MRI) findet am 03. und 04. November 2015 statt.
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