Freitag, 29. März 2024

GfK-Tagung: über den Konsum der Zukunft

Nürnberg. (gfk) Die Zukunft ist nicht vorhersehbar, doch anhand des heutigen Verhaltens und bereits einsetzender Entwicklungen lassen sich künftige Verhaltensweisen skizzieren. Zum 75-jährigen Bestehen der GfK blickten Experten im Rahmen der diesjährigen GfK-Tagung, die Ende Juni rund 550 Marketingexperten aus dem In- und Ausland besuchten, in die Zukunft der Märkte und des Konsums.

Wie sieht unsere Gesellschaft im Jahr 2020 aus? Wie konsumieren die Menschen in zehn bis 15 Jahren? Welche Veränderungen wird es geben? Worauf muss sich der Handel einstellen? Fünf Referenten beleuchteten diese Fragen aus unterschiedlichen Perspektiven.

Demografische Zukunft Europas

Dr. Reiner Klingholz, Direktor des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung, legte in seinem Vortrag die künftige demografische Entwicklung Europas dar. Seit Mitte der 1970er Jahre gehen in Europa die Geburtenraten deutlich zurück. Den Prognosen zufolge wird es bis Mitte des Jahrhunderts rund 50 Millionen weniger Europäer geben. Da sich die Zuwanderung ungefähr in der gleichen Größenordnung bewegen wird, bleibt die Gesamtbevölkerung zwar in etwa gleich groß, sie wird jedoch deutlich älter sein.

Europa wird sich somit als erster Kontinent von einer langen Phase des Wachstums verabschieden – mit erheblichen Auswirkungen auf das wirtschaftliche Leben. Es gilt daher, gesellschaftliche und wirtschaftliche Modelle zu finden, nach denen künftig Wohlstand ohne Wachstum möglich ist. Damit stehen die Volkswirtschaften vor komplett neuen Herausforderungen und Fragen, auf die es bis dato keine Antworten gibt.

Der demografische Wandel vollzieht sich auf nationaler, vor allem aber auf regionaler Ebene höchst unterschiedlich. Während wirtschaftlich erfolgreiche Gebiete wie die skandinavischen Hauptstadtregionen, die Niederlande, die Schweiz oder Südfrankreich mit Bevölkerungswachstum rechnen können, sind in den peripheren Gebieten Mittel- und Osteuropas – einschließlich dem Osten Deutschlands – sehr starke Bevölkerungsverluste zu erwarten. Dies wird im Wesentlichen von zwei Faktoren gesteuert: Erstens von unterschiedlichen Geburtenraten. Zweitens von der innereuropäischen Wanderung, die vor allem in Ost-West-Richtung verläuft.

Diese Entwicklungen werden einen großen Einfluss auf den privaten Konsum haben. Der Konsum wird weniger von der reinen Anzahl an Menschen bestimmt, sondern weit mehr von deren soziodemographischen Eigenschaften und Einstellungen. Generell haben ältere Menschen andere Konsumgewohnheiten als jüngere. Welche generationsspezifischen Eigenschaften und welche alterstypischen Konsumerwartungen die Gruppe der «Silver Ager» haben und haben werden, ist ein weites Feld für die Marktforschung. Noch deutlich weniger erforscht sind die Lebens- und Konsumgewohnheiten der Migranten, die langfristig in den Zuwanderungsgebieten bleiben und dort zu immer wichtigeren Konsumenten werden.

Europas Kaufkraft im Jahr 2020

Dr. Eberhard Stegner, Managing Director der GfK GeoMarketing, konzentrierte sich in seinem Vortrag auf die Kaufkraft der künftigen Verbrauchergeneration. Für Unternehmen, die ihre Produkte über den Einzelhandel vermarkten, ist eines von entscheidender Bedeutung: Wo steht den Konsumenten wie viel Geld zur Verfügung? Diese Frage beantwortet die GfK Kaufkraft. Nicht von ungefähr war sie die erste Dienstleistung, die die GfK angeboten hat: Ein 75 Jahre altes und doch jedes Jahr wieder brandaktuelles Produkt.

GfK GeoMarketing hat in einer aktuellen Studie Deutschland, Italien, Schweden und Polen hinsichtlich der Entwicklung ihrer regionalen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen untersucht. Auf Basis dieser Analysen bewertete sie die Zukunftsaussichten der einzelnen Länder und Regionen. Ergebnis ist eine Prognose der Kaufkraft in diesen Regionen für das Jahr 2020.

Im Jahr 2008 lagen die Regionen mit hoher Kaufkraft in Skandinavien, Südirland, Süddeutschland, Norditalien, dem Ballungsraum Île de France und der Schweiz. Das hohe Preisniveau in Nordeuropa nimmt den Menschen dort jedoch viel von ihrem Wohlstand, während in Osteuropa die geringeren Preise das im Vergleich mit dem Westen noch immer deutlich niedrigere Einkommen etwas ausgleichen. Die Deutschen können sich ebenfalls über vergleichsweise moderate Preise freuen, sodass sie sich insgesamt mehr leisten können, als mancher europäische Nachbar mit einer eigentlich höheren Kaufkraft.

Von den drei westlichen Staaten ist Schweden insgesamt am besten aufgestellt. Die Wachstumsregionen liegen im Süden und dort vor allem im Südwesten. Die Entwicklung in Italien wird hingegen weitgehend stagnieren, wobei die Küstenregionen im Süden ihren Rückstand gegenüber dem Norden leicht vermindern werden können. Auch das europäische West-Ost-Gefälle wird etwas geringer. Polen wird weiter aufholen. Eine wachsende Bevölkerung dort wird vor allem der Region um Krakau einen deutlichen Zuwachs an Kaufkraftdichte bringen. Die Aussichten für einen Anstieg der Kaufkraft pro Einwohner sind dagegen in Westpolen in der Region Lebus am günstigsten. Ein paar Meter weiter auf der anderen Seite der Grenze in Ostdeutschland sieht die Prognose dagegen deutlich schlechter aus. In den neuen Bundesländern werden eine schwache Einkommensentwicklung und Bevölkerungsverluste für großflächig rückläufige Kaufkraftdichten sorgen. Deutschland insgesamt wird sich positiv entwickeln, getragen durch die alten Bundesländer. In erster Linie wird dem Süden künftig mehr Kaufkraft zur Verfügung stehen.

Spur halten und navigieren im beschleunigten Umfeld

Wie schnell und grundlegend sich die Produkte in den letzten zehn Jahren im klassischen technischen Gebrauchsgütermarkt verändert, welche Veränderungen sich bei unseren Einkaufsgewohnheiten ergeben haben und nicht zuletzt, wie der Handel sich und sein Sortiment darauf eingestellt hat, zeigte Friedrich Fleischmann, Head of International Retail Services der GfK Retail and Technology, in seinem Vortrag.

Das Internet ist mittlerweile für 1,6 Milliarden Menschen weltweit ein Bestandteil des täglichen Lebens geworden und ermöglicht einen rasend schnellen Austausch von Informationen. Nie zuvor waren Verbraucher besser über Produkte, Preise, Qualität oder nicht gehaltene Qualitätsversprechen informiert. In diesem Zusammenhang sieht sich der Handel in verschiedener Hinsicht mit neuen Herausforderungen konfrontiert: schneller Sortimentswechsel, kurze Produktlebenszyklen, ein besser informierter Kunde, eine höhere Preistransparenz und die jederzeit verfügbare Online-Kaufoption. Mittlerweile geben die Konsumenten bei technischen Gebrauchsgütern in Westeuropa jeden zehnten Euro online aus.

Den Siegeszug der Digitalisierung symbolisieren Produkte wie LCD TV, Digitale Kameras, Handys, MP3-/MP4-Player, die in den Absatzzahlen ihre analogen Vorgänger bei weitem überflügeln. Die problemlose Vernetzbarkeit bietet dem Verbraucher völlig neue Dimensionen der multimedialen Anwendung. Verbuchten im Jahr 2000 analoge Kameras mit weltweit 71 Millionen verkauften Exemplaren noch einen Rekordabsatz, so zeigen die 140 Millionen verkauften digitalen Kameras des letzten Jahres, welche immensen Absatzchancen sich über die neue Technik eröffnet haben.

Um diesem ständigen Wandel zu folgen, die richtigen Wege einzuschlagen und dafür rechtzeitig die richtigen Entscheidungen treffen zu können, benötigen Hersteller und Handel fundierte, auf Fakten basierende und detaillierte Marktinformationen. Um dies zu gewährleisten, bedarf es eines weltweiten kontinuierlichen und standardisierten Untersuchungsansatzes. Mit einem sich über mehr als 80 Länder erstreckenden Netzwerk kann d
ie GfK Retail and Technology für über 300 Produktgruppen diese Navigationshilfen liefern.

Fünf Szenarien für den Handel

Franz Tessun von Future Thinking + Training zeigte in seinem Vortrag anhand von fünf Szenarien, wie sich der Handel in den kommenden Jahren entwickeln könnte.

Blickt man 20 Jahre zurück, erkennt man, dass sich die Welt stark verändert hat. Keine der Entwicklungen konnte durch Prognosen sicher vorhergesagt werden. Mit Szenarien lassen sich solche zukünftigen Veränderungen jedoch qualitativ beschreiben.

Das Szenarienfeld teilte Tessun in die vier Bereiche Handel, Handelsumfeld, Konsument sowie Gesellschaft, Wirtschaft und Politik ein. Hinzu kamen 18 Schlüsselfaktoren wie beispielsweise «Nahversorgung» aus dem Bereich Handel oder «Soziodemografie» aus dem Bereich Gesellschaft, Wirtschaft und Politik. Jeden dieser Schlüsselfaktoren projizierte er in vier denkbare zukünftige Entwicklungsrichtungen. Aus der Kombination der Bereiche sowie der Schlüsselfaktoren setzen sich die fünf Szenarien zusammen. Diese decken den möglichen Zukunftsraum sehr gut ab und beschreiben unterschiedliche Entwicklungsmöglichkeiten.

Szenarien sind keine Prognosen und beschreiben nicht die «einzig mögliche Zukunft», sondern vielmehr alternative, denkbare Zukunftsvarianten. Anhand dieser Szenarien identifizieren die Forscher Chancen und Gefahren und leiten daraus Handlungsoptionen ab, die die Chancen unterstützen und versuchen, die Gefahren zu minimieren oder zu verhindern.

Wie sich der Handel in den nächsten Jahren entwickeln könnte, stellen folgende fünf Szenarien dar:

Der Handel in der gespaltenen Gesellschaft: Geringes Wachstum spaltet die Gesellschaft und führt zu preisorientiertem Discount-Einkauf.
Der Handel im Frühlingserwachen: Solides Wachstum und konservative Strukturen führen zu regionalem Wettbewerb um zusätzliche Dienstleistungen im Handel.
Der Handel als Innovationsführer: Wachstum neuer Märkte und Dominanz der jungen Generation fördern den Wettbewerb um moderne, zusätzliche Dienstleistungen im Handel.
Der Handel als Trendsetter: Wachstum und moderne Strukturen führen zu regionalem, aber mobilem Wettbewerb um zusätzliche Dienstleistungen im Handel.
Der Handel als virtueller Erzeuger: Sinkender Wohlstand macht preisorientierte Konsumenten zu Direktkonsumenten.

Drei Kulturen der Zukunftsforschung

Professor Holger Rust, Wirtschaftssoziologe an der Universität Hannover, beschäftigte sich in seinem Vortrag mit den verschiedenen Ansätzen der Zukunftsforschung. Zunächst stellte er die so genannte Kultur der Kennzahlen, auch erste Kultur, vor. Diese arbeitet vorzugsweise mit Anglizismen und erstellt in relativ kurzen Zeiträumen Theorien mit bereits vorgefertigten Ergebnissen. Forschung, die diesen Vorgaben nicht folgt, wird als zu komplex abgelehnt. Es werden in erster Linie Modelle der Realität gepflegt, nicht aber die klassische wissenschaftliche Vorgehensweise des kritischen Rationalismus. Es dominieren «Best Practices» sowie die Anpassung an Kundenwünsche.

Als Gegenentwurf dazu entwickelt sich eine zweite, höchst kritische Kultur. Sie setzt sich mit den gesellschaftspolitischen Konsequenzen und Irrwegen des wirtschaftlichen Handelns auseinander. Sie pflegt eine eher qualitative, ganzheitliche Forschungstradition.

Des weiteren gibt es Kräfte, die vorgeben, Informationen über die tatsächliche Wirklichkeit zu besitzen und diese auf wissenschaftlicher Basis erarbeitet zu haben. Sie besitzen eine eigene Sprachkultur und nähren die Illusion, den Negativismus der akademischen Forschung überwunden zu haben. Diese Forschung zerstückelt wissenschaftliche Einsichten mit dem Ziel, opportune Zukunftsvisionen zu entwerfen.

Schließlich stellte Rust dar, welchen Anforderungen seriöse Forschung genügen sollte: soziologische Sensibilität, Unvoreingenommenheit der Fragestellung sowie Unbeeinflussbarkeit der Methoden. Sie pflegt tatsächliche Wirtschaftsnähe und bietet ehrliche Antworten, mit deren Hilfe unabhängig vom Wunschdenken die Grundlagen für künftige Entwicklungen tatsächlich ermittelt werden können. Sie überwindet die Illusion von Trends und Megatrends zu Gunsten der individuellen Begleitung von Unternehmen. Exklusive Fragen aus der Perspektive des jeweiligen Unternehmens und Vertrauen in eine unabhängige, nicht opportunistische Forschung sind demnach die einzige Möglichkeit, mit der jeweils auch individuell zu bewältigenden Zukunft umgehen zu können. Diese «dritte» und echte Forschungskultur stellt sich der Zukunft in dem Bewusstsein, dass sie nicht vorhersagbar ist, aber durch eine größtmögliche Nutzung harter und weicher Faktoren in jeder denkbaren Erscheinungsform bewältigt werden kann. Die Schlussfolgerungen dieser Forschungskultur lauten: Forschung muss die Beobachtung der Wirklichkeit anregen. Sie muss die tieferen Schichten der Kultur offenbaren, aus der sich die Märkte etablieren. Und sie muss der unternehmensinternen Kommunikation Impulse geben. Generell, so Rust, gilt die Einsicht, dass Innovation am Ende doch meist nichts anderes darstellt als den Versuch, mit möglichst revolutionären Mitteln alles beim Alten zu lassen (Quelle).

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